Saarland/Region
Landtags-Mehrheit plädiert dafür, die Umsatzsteuersenkung für die Gastronomie zu verlängern
Arbeitswelt
Baden-Württemberg ähnlich innovativ wie Kalifornien
Studenten und Azubis fühlen sich gestresster als ältere Arbeitnehmer
Arbeitskräfte-Engpässe im Handwerk werden größer
Finanzpolitik
ifo-Forscher schlagen höheren Spitzensteuersatz vor
Energie / Verkehr
BDI mahnt Tempo bei Gaskraftwerken an
Habeck: LNG-Terminal Mukran „die beste der schwierigen Optionen“
EU-Parlament: 70 Prozent grüne Treibstoffe für Flugzeuge bis 2050
Interview
Allmendinger: „Das ideale Modell wäre eine Fünftagewoche mit mehr Freiheit“
Saarland/Region
Intel unterzeichnet Forschungskooperation mit dem Saarland
Der Chiphersteller Intel hat mit dem Saarland eine Forschungskooperation abgeschlossen. Dabei werden Forschungsvorhaben in der Informatik gefördert. Alle Forschungsergebnisse werden unter Open-IP veröffentlicht und der Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt. Die Forschungskooperation zwischen dem Saarland und Intel ist eine der ersten ihrer Art in Deutschland. Sie ist zunächst auf vier Jahre bei einem Fördervolumen von vier Millionen Dollar angelegt und umfasst verschiedene Programme, auf die sich Forschende der saarländischen Hochschulen und Institute bewerben können. Das erste Programm trägt den Titel „Future of Graphics und Media“ und wird Forschungsvorhaben zur Weiterentwicklung visueller Inhalte wie Fotos, Videos oder Videotelefonie und deren Datenverarbeitung fördern. Dabei stehen neben technischen Innovationen auch die Steigerung der Energieeffizienz im Fokus. „Die Intel-Kooperation ist ein großer Erfolg für das Saarland. Mit Intel gewinnt unser Land einen attraktiven, globalen Industriepartner“, sagt Wissenschaftsminister Jakob von Weizsäcker. „Saarländische Spitzenforschung in der Informatik und industrielle Anwendung gehen hier Hand in Hand.“ Die Forschungsförderung wird hälftig zu je zwei Millionen Dollar von Intel und dem Saarland finanziert. Forschende der saarländischen Hochschulen und Institutionen können sich um eine Förderung zwischen 80.000 bis 300.000 Euro pro Jahr bewerben. Die ersten Projekte sollen noch in diesem Jahr starten und werden nach Auswahl der Öffentlichkeit vorgestellt. (Quelle: Wissenschaftsministerium)
In Homburg wird eine Wasserstofftankstelle gebaut
In Homburg soll an der Abfahrt der A6 eine Wasserstoff-Tankstelle entstehen. Vier Wasserstoffsäulen für Lkw und zwei für Pkw sollen dort gebaut werden. Das teilte der Geschäftsführer des Netzwerks Autoregion, Armin Gehl, gestern mit. Damit würde in Homburg die zweite Wasserstoff-Tankstelle im Saarland entstehen. Bei der ersten saarländischen Wasserstofftankstelle in Gersweiler hatte die Umsetzung mehrere Jahre gedauert. Bauträger und Betreiber ist H2Mobility, ein Zusammenschluss von Unternehmen aus der Auto- und Ölindustrie. Dieser betreibt auch das Wasserstoff-Tankstellennetz in ganz Deutschland. Die Tankstelle in Homburg ist nach Auskunft des Netzwerks vor allem für die Versorgung des Schwerverkehrs gedacht. (Quelle: SR)
Saarland legt Förderprogramm zur Stärkung des Einzelhandels auf
Das saarländische Wirtschaftsministerium hat im Rahmen des Projekts „Zukunftskonzept für den Handel im Saarland 2030“ ein landesweites „Förderprogramm für Kommunen zur Stärkung des saarländischen Einzelhandels in Innenstädten, Stadtteil- und Ortszentren“ aufgelegt. Gefördert werden sollen damit zum Beispiel innovative, zukunftsfähige Konzepte und Strategien der saarländischen Kommunen, innovative Leerstands-Konzepte oder öffentlichkeitswirksame Maßnahmen und neue Veranstaltungen, zur Stärkung des „Erlebnisfaktors Innenstadt“. Die Vorhabensbeschreibung und der zugehörige Antrag können von den Kommunen bis zu 23. Oktober 2023 eingereicht werden. Über die Förderwürdigkeit der eingereichten Anträge entscheidet im Anschluss eine Jury unter Vorsitz des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie. Die Zuwendung beträgt bis zu 90 Prozent der zuwendungsfähigen Ausgaben. Der maximale Zuwendungsbetrag liegt bei 200.000 Euro in den Mittelzentren und dem Oberzentrum bzw. 100.000 Euro in den Grundzentren. Vorhaben mit zuwendungsfähigen Ausgaben von weniger als 30.000 Euro werden nicht gefördert. Antragsformular, Teilnahmebedingungen und Richtlinien des landesweiten Förderprogramms finden interessierte Kommunen unter https://zukunfthandel.saarland/
Arbeitswelt
Baden-Württemberg ähnlich innovativ wie Kalifornien
Geht es um Innovationen, ist Süddeutschland im weltweiten Vergleich hervorragend aufgestellt und kann selbst mit Kalifornien mithalten, zeigt eine neue Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gemeinsam mit sechs internationalen Forschungsinstituten erstellt hat. Besonders innovativ sind Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Insgesamt haben die Wissenschaftler 121 Regionen in den USA, Schweden, Polen, Italien, Ungarn, Österreich und Deutschland unter die Lupe genommen. 13 Indikatoren standen im Fokus, darunter die Zahl der Gründungen, Ausgaben für Forschung und Entwicklung oder die Anmeldungen von Patenten. Demnach schafft es Baden-Württemberg nach Massachusetts und Kalifornien auf Rang 3, Bayern liegt auf Rang 7, Hessen auf Rang 9. Nachholbedarf haben Thüringen (Rang 46), Mecklenburg-Vorpommern (Rang 61) und Sachsen-Anhalt (Platz 79). Ostdeutschland habe wirtschaftlich immer noch aufzuholen und müsse vor allem bei der Forschung und Internationalisierung weiter vorankommen, schreiben die Autoren. Auf der anderen Seite punkten die besonders innovativen Bundesländer mit einer recht hohen Zahl von qualifizierten Zuwanderern, einer starken Industrie und solide hohen Exportraten. Zudem investiert Süddeutschland besonders stark in Forschung und Entwicklung. (Quelle: IW, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Studenten und Azubis fühlen sich gestresster als ältere Arbeitnehmer
Jüngere in Deutschland empfinden nach einer neuen Yougov-Umfrage deutlich mehr Stress als Ältere. Studenten sowie Azubis haben demnach im Schnitt ein höheres Stressempfinden als Arbeitnehmer, die ihre Ausbildung hinter sich haben. Insgesamt fühlten sich demnach mehr als 61 Prozent der 2.276 befragten Männer und Frauen gestresst. In der älteren Generation der Babyboomer war der Anteil der Gestressten mit 44 Prozent jedoch deutlich niedriger. Überdurchschnittlich vertreten hingegen waren die Jüngeren, vor allem diejenigen, die ihre akademische oder berufliche Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben: Jeweils gut zwei Drittel der Studierenden und der Azubis erklärten sich für gestresst, bei Arbeitnehmern waren es mit 51 Prozent erheblich weniger. Hinter den Durchschnittswerten verbirgt sich zudem ein beträchtlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern: Frauen leiden laut Umfrage stärker unter Stress als Männer. Bei Studentinnen und weiblichen Auszubildenden sagten das fast drei Viertel (73 Prozent), bei den berufstätigen Frauen waren es 53 Prozent. (Quelle: dpa, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Arbeitskräfte-Engpässe im Handwerk werden größer
Im Handwerk leidet nach einer Erhebung der Bundesagentur für Arbeit inzwischen jeder dritte Berufszweig unter Fachkräftemangel. Von 177 Handwerksberufen würden inzwischen 68 als sogenannte Engpassberufe geführt - 2018 habe die Zahl noch bei 56 gelegen, teilte die Bundesagentur mit. Die Bandbreite reiche von Berufen der Bauelektriker über die Kraftfahrzeugtechnik und elektrische Betriebstechnik bis hin zu denen in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Auf diese Engpassberufe entfielen 80 Prozent der gemeldeten freien Stellen. Die Betriebe müssten in diesen Fällen mit Schwierigkeiten bei der Besetzung der offenen Stellen rechnen. Die Bundesagentur versuche, die Handwerksbetriebe zu unterstützen, etwa über Ausbildungsmessen oder Informationsveranstaltungen. Auch im Ausland werde aktiv nach Arbeitskräften gesucht. (Quelle: dpa, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Finanzpolitik
ifo-Forscher schlagen höheren Spitzensteuersatz vor
Mithilfe einer Reform von Einkommensteuer und Grundsicherung wollen Forscher ifo-Instituts mehr Menschen dazu bringen, eine Beschäftigung aufzunehmen. An die Stelle des Ehegattensplittings soll ein sogenanntes Realsplitting treten. Statt gemeinsam veranlagt zu werden, dürften Eheleute dabei ein zu versteuerndes Einkommen bis zur Höhe des gesetzlichen Unterhaltsfreibetrags – aktuell 13.805 Euro – auf den Partner übertragen. Durch die Deckelung würden die Arbeitsanreize für Zweitverdienende erhöht, hieß es vom Institut. Der Grundfreibetrag soll dem Vorschlag zufolge um 500 auf 11.408 Euro steigen, die Werbekostenpauschale um 200 auf 1.430 Euro. Beim Spitzensteuersatz schlägt das ifo-Institut 44 statt 42 Prozent vor – weiterhin ab einem zu versteuernden Einkommen von 62.809 Euro. Beim Reichensteuersatz regen die Experten 47 statt 45 Prozent an – allerdings erst ab einer um rund 25.000 auf 302.825 Euro erhöhten Grenze. „Durch die Reform würde die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden im Umfang von 184.000 Vollzeitstellen steigen“, so ifo-Experte Andreas Peichl. „Gleichzeitig würden 172.000 Personen eine Beschäftigung aufnehmen“. Für den Staatshaushalt entstünden dabei keine zusätzlichen Kosten. (Quelle: Spiegel, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Energie / Verkehr
BDI mahnt Tempo bei Gaskraftwerken an
Der Industrieverband BDI hat mehr Tempo beim Bau von Gaskraftwerken angemahnt. „Es wird allerhöchste Zeit, dass es endlich vorangeht", sagte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Tanja Gönner. „Denn je später es wird, desto ambitionierter wird der Kohleausstieg." Von den rund 50 benötigten Gaskraftwerken sei noch keines im Bau. Die Bundesregierung müsse Tempo machen und auch rasch klären, wie sich Bau und Reservehaltung rechnen sollten. „Denn spätestens 2038 will sie ja den Ausstieg aus der Kohleverstromung abgeschlossen haben“, sagte Gönner. „Sonst betreiben wir all die Wärmepumpen und fahren unsere Elektroautos noch lange mit Strom aus Kohle, und das Klima wäre der große Verlierer." (Quelle: dpa, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Habeck: LNG-Terminal Mukran „die beste der schwierigen Optionen“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat das geplante LNG-Terminal auf Rügen gegen die teils scharfe Kritik auf der Insel verteidigt. „Unter dem Strich geht es um ein Projekt, das Bestandteil der nationalen Energiesicherheitsstrategie ist", sagte Habeck. Mukran sei ein großer Hafen, wo im Grundsatz Industrie eigentlich hingehöre. „Insoweit ist es von den schwierigen Alternativen sicherlich die beste, die wir gefunden haben." Auch wenn bei der Gasversorgung die Notlage gebannt sei, sei sie nicht überwunden. Es sei falsch und fahrlässig zu behaupten, das Terminal sei nicht notwendig, da keine Notlage mehr befürchtet werden müsse. Nach Plänen des Bundes soll das Terminal in Mukran im Norden Rügens noch im kommenden Winter betriebsbereit sein. (Quelle: dpa, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
EU-Parlament: 70 Prozent grüne Treibstoffe für Flugzeuge bis 2050
Flugzeuge in der EU müssen nach dem Willen des Europaparlaments künftig deutlich umweltfreundlicher betankt werden. Darunter fallen zum Beispiel Kraftstoffe aus Bioabfällen, Altspeiseöl oder Algen. Bis 2050 sollen 70 Prozent der Treibstoffe im Flugverkehr nachhaltig sein, teilte das EU-Parlament in Straßburg mit. Die EU-Staaten müssen dem Vorhaben noch zustimmen, das gilt aber als Formsache. Die Verordnung schreibt beim Tanken an europäischen Flughäfen ab 2025 einen Mindestanteil von zwei Prozent an alternativen Treibstoffen vor. Bis 2030 soll der Anteil auf sechs Prozent steigen, bis 2050 sollen mehr als zwei Drittel des Kraftstoffs für Flugzeuge aus nachhaltigen Quellen stammen. Bei Verstößen drohen Flughäfen und Fluggesellschaften Geldstrafen.
(Quelle: tagesschau.de, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Interview
Allmendinger: „Das ideale Modell wäre eine Fünftagewoche mit mehr Freiheit“
Im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger, wie die 32-Stunden-Woche gegen den Fachkräftemangel helfen kann und was uns für eine bessere Arbeitswelt noch fehlt.
Frau Allmendinger, die IG Metall fordert aktuell für die Stahlindustrie, die wöchentliche Arbeitszeit von 35 auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich zu verkürzen, als Einstieg in die Viertagewoche. Wie bewerten Sie solche Forderungen?
Viele schlussfolgern, dass eine reduzierte Stundenzahl den Fachkräftemangel erhöht. Aber wenn alle Vollzeit arbeiten würden, könnte das genau dort den Fachkräftemangel erhöhen, wo er bereits heute massiv ist.
Das müssen Sie erklären.
Wir dürfen zunächst nicht nur über die reine Erwerbsarbeit reden, sondern müssen alle Tätigkeiten einbeziehen. Ich spreche deshalb von einer „Tätigkeitsgesellschaft“. Sie verrichtet neben bezahlter Arbeit auch unbezahlte wie Hausarbeit, Kinderbetreuung, Ehrenamt oder die Pflege älterer Menschen. Daneben müssen wir die Situation der Haushalte in den Blick nehmen und nicht nur Einzelpersonen. Denn traditionell sehen wir noch immer den Mann als Familienernährer, der 40 Stunden erwerbstätig ist. Und die Frau, die ihm dies ermöglicht, indem sie mindestens ebenso lange zu Hause produktiv tätig ist. Beides gehört also zusammen. Mittlerweile arbeitet die Frau zudem meist Teilzeit, 18 oder 20 Stunden. Wenn sie nun auch noch Vollzeit arbeiten soll, dann bräuchten wir deutlich mehr Personal für Kinderbetreuung und Pflege. Wenn aber künftig beide Erwachsenen im Haushalt 32 Stunden arbeiten, bliebe für beide Zeit, sich Sorgearbeit zu widmen. Außerdem kommen wir dann insgesamt auf 64 Stunden – das Arbeitsvolumen würde steigen. Unter dem Strich gewinnt die Volkswirtschaft.
Die Arbeitgeber sehen Branchen „existenziell gefährdet“ bei einer Viertagewoche.
Noch mal: Das ist eine Milchmädchenrechnung. Auf Arbeitgeberseite steht die Vollzeiterwerbsgesellschaft aller Erwachsenen im Mittelpunkt. Aber wer soll dann die unbezahlte Arbeit leisten? Wenn die Betreuung und all die anderen Arbeiten, die jetzt unbezahlt zu Hause geleistet werden, ausgelagert und auf dem Markt angeboten würden, käme es zu mehr Fachkräftemangel. Gerade in den Berufen, wo dieser schon jetzt mit am höchsten ist, würde sich das bemerkbar machen.
Müsste in Zeiten von Fachkräftemangel, Inflation und wirtschaftlichem Abstieg die Work-Life-Balance nicht trotzdem eher wieder Richtung „Work“ gedreht werden?
Ich fordere nicht, die Viertagewoche und pauschal weniger tarifliche wöchentliche Arbeitszeit. Das „neue Normal“ sollten 32 Stunden sein, sodass ein Paarhaushalt die Möglichkeiten hat, zum Beispiel die Kinder am Nachmittag abzuholen, zum Sport und zu anderen Tätigkeiten zu bringen oder Ältere zu pflegen. Das ideale Modell wäre für mich eine Fünftagewoche mit mehr Freiheit. Für die Frauen würde das zusätzliche Arbeitszeit bedeuten. Das wäre auch wichtig, damit sie finanziell auf eigenen Füßen stehen – auch mit Blick auf eine auskömmliche Rente.
Reden wir jetzt über die Umverteilung von Arbeitszeit oder über Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich?
Zunächst ginge es um eine 32-Stunden-Woche über den gesamten Lebensverlauf hinweg. Ob das mit Lohnausgleich umgesetzt wird, ist eine andere Frage. Das hängt natürlich auch mit der Höhe der Mindestlöhne und der Lohnstaffelung insgesamt zusammen. Ich wäre für den vollen Lohnausgleich, weil Studien zeigen, dass kürzere Arbeitszeiten mit steigender Produktivität je Stunde einhergehen. Außerdem erhöht sich die Produktivität nicht linear mit den Arbeitszeiten. Es gibt Paare, in denen beide Partner heute Vollzeit arbeiten, weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Wenn beide auf 32 Stunden gehen, brauchen sie einen Lohnausgleich. Sollen also jetzt die Arbeitgeber auch für die Erledigung familiärer Aufgaben zahlen? Bei Familien mit mittleren und höheren Einkommen steigt wohl selbst ohne Lohnausgleich das Haushaltseinkommen, wenn beide Partner ihre Arbeitszeit anders aufteilen und zusammen auf 64 Stunden kommen. Das liegt auch daran, dass Frauen dann stärker als bisher Karriereschritte und damit Gehaltserhöhungen offenstehen. Aber sicher gibt es viele Familien, die sich die 64 Stunden aus finanziellen Gründen schlicht nicht leisten können. Hier würde ich gezielt helfen – etwa mit Steuererleichterungen.
Es gibt doch einen Anspruch auf Teilzeit. Beide Partner können ohne Probleme auf 32 Stunden reduzieren und sich Erwerbsarbeit, Sorgearbeit, und Familienarbeit aufteilen. Warum machen das aus Ihrer Sicht denn so wenige?
Die Entscheidungsmöglichkeit gibt es, richtig. Sozial akzeptiert ist sie aber nicht. Es gibt zum Beispiel immer noch das deutsche Rabenmutter-Moment: der Vorwurf an arbeitende Frauen, sie würden sich nicht genug um ihre Kinder kümmern. Wir haben auch strukturelle Hemmnisse wie das Ehegattensplitting und die kostenlose Mitversicherung in der Krankenversicherung. Mini- und Midijobs setzen ebenfalls falsche Anreize. Auch die Rentenpunkte bemessen sich nach Vollzeiterwerbstätigkeit. Insofern denke ich, dass wir ein neues Normal bei Arbeitszeiten etablieren müssen.
Wenn aber die Frauen ihre Arbeitszeit erhöhen und die Männer sie verkürzen, verlagert sich das Problem der unzureichenden Alterssicherung nur zwischen den Geschlechtern. Dann sammeln vielleicht die Männer künftig zu wenige Rentenpunkte...
In der Tat löst das nur die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen. Es würde das Rentenniveau von Männern reduzieren. Eine Möglichkeit wäre, von starren Altersgrenzen für die Rente wegzukommen. Wir brauchen flexible Altersgrenzen, die unterschiedlichen Lebensentwürfen eher gerecht werden.
Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup sagt, wir brauchen eigentlich Mehrarbeit, um mit Blick auf die Rente zukunftssicher dazustehen. Würden Sie da nicht mitgehen?
Es kann nicht darum gehen, eine höhere Wochen- oder Lebensarbeitszeit für alle festzuschreiben. Aber wir müssen das riesige ungenutzte Bildungsreservoir erschließen und endlich den Anteil von Menschen ohne Berufsabschluss reduzieren. Wir müssen den hohen Anteil jener abbauen, die in den Vorruhestand gehen, indem wir die Arbeitszeit gesünder gestalten und mehr Weiterbildung anbieten. Und es gibt Berufe, in denen es möglich ist, länger zu arbeiten.
Wer ist denn aus Ihrer Sicht gefordert, um in diese von Ihnen beschriebene ideale Welt zu kommen? Sind das die Tarifparteien, wie die IG Metall in der zugegebenermaßen sehr kleinen Stahlbranche? Ist es der Gesetzgeber?
Wir müssen die oben beschriebenen strukturellen und kulturellen Hürden abbauen. Wir müssen Anreize für mehr Partnerschaftlichkeit in den Familien schaffen. Wir brauchen ein besseres Schulsystem und mehr Weiterbildung. Und wir brauchen mehr Flexibilität der Erwerbsarbeit über den gesamten Lebensverlauf.
CDU-Chef Friedrich Merz hat gerade eine Grundsatzdebatte über die Leistungsbereitschaft in Deutschland gefordert: Unser Wohlstand und unsere Alterseinkommen ließen sich nur aufrechterhalten, wenn wir uns anstrengen. FDP-Chef Christian Lindner fordert „Lust auf Leistung“. Ist da gar nichts dran?
Das ist zynisch und stößt viele Menschen vor den Kopf. Ich leite ein großes Institut mit vielen Mitarbeitenden. Alle haben Lust auf Leistung. Und viele haben Kinder oder Eltern, die ihre Zuwendung brauchen. Ich verstehe nicht, warum der Leistungsbegriff so eingeengt werden muss und damit die vielen anderen Arbeiten ohne jede Anerkennung bleiben.
BA-Chefin Andrea Nahles hat neulich gesagt, Arbeiten sei kein Ponyhof. Da schwang auch mit, dass Unternehmen ihren Betrieb aufrechterhalten müssen. Können Sie Arbeitgeber verstehen, die fragen, wie das künftig gehen soll, wenn immer neue Arbeitszeitwünsche an sie herangetragen werden?
Ich kann in unseren Studien gar keinen Bruch zur sogenannten Generation Z feststellen. Viele sagen, sie wollen sich am Ende des Lebens nicht vorwerfen müssen, dass sie ihre Kinder gar nicht haben aufwachsen sehen. Diesen Wunsch gab es aber auch schon in früheren Generationen. Heute lässt er sich leichter realisieren, da Frauen so viel besser ausgebildet sind. Die Jungen nehmen Arbeit mindestens genauso ernst wie die älteren Generationen, aber sie sehen, dass auch andere Tätigkeiten erfüllt werden müssen und nicht einfach auf Frauen abgeschoben werden können. Und sie können selbstbestimmter auftreten, weil wir heute einen Arbeitnehmermarkt haben, die Arbeitgeber also attraktive Arbeitsbedingungen bieten müssen. (Quelle: Handelsblatt, M+E-Newsletter Gesamtmetall)