Großregion
Grenzkontrollen werden ab Samstag gelockert
Region als Modellregion in Coronazeiten
Saar-Landtagsdiäten steigen am 1. Juni
Tarifpolitik
IAB-Studie konstatiert weiter sinkende Tarifbindung
Industrieproduktion in Eurozone und EU bricht ein
Arbeitswelt
DIW: Jeder dritte wechselte in Corona-Krise ins Homeoffice
Wirtschaftspolitik
Wirtschaft kritisiert Altmaier-Pläne für mehr Prüfungen von Firmenbeteiligungen
ifo und Helmholtz-Zentrum empfehlen schrittweise Öffnungen
Energiepolitik
DIHK: Anstieg von EEG-Umlage und Co. verteuert Strom für Betriebe erheblich
Steuern / Haushalt
Kommunen: Investitionen geraten unter Druck
Interview
Kirchhoff: Ohne Kaufanreize kommt es zu Entlassungen
Großregion
Grenzkontrollen werden ab Samstag gelockert
Wie das Bundesinnenministerium gestern mitteilte, enden die Kontrollen zunächst an der Grenze zu Luxemburg in der Nacht zum kommenden Samstag. An den Grenzen zu Frankreich, Österreich und der Schweiz sollen sie dagegen bis zum 15. Juni fortgesetzt werden. Allerdings soll ab Samstag an allen deutschen Grenzen nur noch stichprobenartig kontrolliert werden, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Dann sollen auch alle Grenzübergänge geöffnet werden. Ziel sei es, ab dem 15. Juni wieder freien Reiseverkehr zu haben, sofern die Entwicklung der Pandemie es zu dem Zeitpunkt erlaube.
Die Erleichterungen sind laut Innenministerium eine Folge der positiven Entwicklung des Infektionsgeschehens. Sollte die Zahl der Neuinfektionen in Nachbarregionen jedoch stark steigen, werde man wieder intensiver kontrollieren. Dabei biete der in Deutschland geltende Richtwert von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen Orientierung. (Quelle: sr-online)
Region als Modellregion in Coronazeiten
Ministerpräsident Hans will die Großregion zu einer Modellregion für ein neues Grenzmanagement in der Coronazeit machen. Dazu gehöre der Wegfall der Quarantänebestimmungen in der Region. Er spricht sich dafür aus, gemeinsam vorzugehen, wenn Infektionsketten ausfindig gemacht werden müssten. Auch die Krankenhäuser könnten in der Großregion gemeinsam genutzt werden. Um der Coronapandemie die Stirn zu bieten, müsse die Großregion kooperieren. Hans forderte Berlin und Paris auf, die Schengen-Freiheit wiederherzustellen, spätestens ab 15. Juni. (Quelle: sr-online)
Saar-Landtagsdiäten steigen am 1. Juni
Laut Bericht der Saarbrücker Zeitung haben die Fraktionen von CDU und SPD gestern in der Sitzung des Saar-Landtags wie angekündigt die planmäßige Erhöhung der Entschädigungen der Landtagsabgeordneten nicht verändert. Die beiden Oppositionsfraktionen von Linken und AfD hatten Anträge eingebracht, die seit 1993 geltende Diäten-Erhöhungs-Praxis angesichts der Corona-Krise zu ändern. Seit 1993 steigen die Bezüge der Landtagsabgeordneten im gleichen Maße wie die der Landesbeamten. Angesichts von 10 000 Kurzarbeitern im Saarland und einer Steigerung der Arbeitslosenzahlen um 20 Prozent passe eine „Diätenerhöhung nicht in die ökonomische und gesellschaftspolitische Landschaft“, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der Links-Fraktion, Jochen Flackus. Stefan Thielen, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, berief sich beim Festhalten an der Diäten-Erhöhung auf die Praxis seit 1993. Seitdem seien die Bezüge der Landtagsabgeordneten an die Erhöhung bei den Beamtenbezügen gekoppelt. (Quelle: Saarbrücker Zeitung)
Tarifpolitik
IAB-Studie konstatiert weiter sinkende Tarifbindung
Der Anteil der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben ist im Jahr 2019 einer IAB-Untersuchung zufolge weiter zurückgegangen. In Westdeutschland arbeiteten demnach 46 Prozent der Beschäftigten im Jahr 2019 in Betrieben mit Branchentarifvertrag. Im Jahr 2018 waren es mit 48 Prozent noch 2 Prozentpunkte mehr. In Ostdeutschland sank der entsprechende Anteil der Beschäftigten 2019 gegenüber dem Vorjahr um 1 Prozentpunkt von 35 auf 34 Prozent. Verglichen mit dem Stand von 1996, als im IAB-Betriebspanel erstmals Daten zur Tarifbindung erhoben wurden, ist der Anteil der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben in West- und Ostdeutschland deutlich geschrumpft. Damals arbeiteten in Westdeutschland 70 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit Branchentarifvertrag, in Ostdeutschland waren es 56 Prozent. Firmen- oder Haustarifverträge galten 2019 für 7 Prozent der westdeutschen und für 11 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten. 47 Prozent der westdeutschen und 55 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten arbeiteten 2019 in Betrieben, in denen es keinen Tarifvertrag gab. In Westdeutschland profitierten 52 Prozent dieser Arbeitnehmer jedoch indirekt von Tarifverträgen, da sich ihre Betriebe an Branchentarifverträgen orientierten, in Ostdeutschland waren es 43 Prozent.
(Quelle: IAB, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Industrieproduktion in Eurozone und EU bricht ein
Im März 2020 hatten die europaweit eingeführten COVID-19-Einschränkungsmaßnahmen erhebliche Auswirkungen auf die Industrieproduktion, berichtet Eurostat. Die saisonbereinigte Industrieproduktion ging gegenüber Februar in der Eurozone um 11,3 und in der EU um 10,4 Prozent zurück. Gegenüber März 2019 ging die Industrieproduktion im März 2020 im Euroraum um 12,9 Prozent und in der EU um 11,8 Prozent zurück.
Im monatlichen Vergleich sank die Produktion von Gebrauchsgütern im März 2020 gegenüber Februar 2020 im Euroraum um 26,3 Prozent, von Investitionsgütern um 15,9 Prozent, von Vorleistungsgütern um 11,0 Prozent, von Energie um 4,0 Prozent und von Verbrauchsgütern um 1,6 Prozent. In der EU sank die Produktion von Gebrauchsgütern um 23,8 Prozent, von Investitionsgütern um 15,1 Prozent, von Vorleistungsgütern um 9,9 Prozent, von Energie um 3,5 Prozent und von Verbrauchsgütern um 1,2 Prozent. Die stärksten Rückgänge verzeichneten Italien (minus 28,4 Prozent), die Slowakei (minus 20,3 Prozent) und Frankreich (minus 16,4 Prozent). Auf Jahressicht sank die Produktion von Gebrauchsgütern im März 2020 gegenüber März 2019 in der Eurozone um 24,2 Prozent, von Investitionsgütern um 21,5 Prozent, von Vorleistungsgütern um 11,8 Prozent, von Energie um 6,7 Prozent und von Verbrauchsgütern um 0,8 Prozent. In der EU sank die Produktion von Gebrauchsgütern um 21,7 Prozent, von Investitionsgütern um 20,0 Prozent, von Vorleistungsgütern um 10,1 Prozent, von Energie um 6,4 Prozent und von Verbrauchsgütern um 0,3 Prozent. (Quelle: Eurostat, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Arbeitswelt
DIW: Jeder dritte wechselte in Corona-Krise ins Homeoffice
Jeder dritte Beschäftigte ist laut einer Umfrage in der Corona-Krise ins Homeoffice gewechselt. 35 Prozent gaben in der ersten Aprilhälfte an, teilweise oder vollständig von zu Hause aus zu arbeiten, berichtet das DIW auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels. Vor der Corona-Krise haben nur 12 Prozent gelegentlich oder immer den heimischen Schreibtisch genutzt. Jeder Zehnte meinte, dass er zu Hause produktiver sei als im Büro; 40 Prozent der Betroffenen machen die gegenteilige Erfahrung: Sie schaffen weniger. Die Forscher des DIW vermuten, dass dies daran liegt, dass Schulen und Kitas geschlossen wurden und Kinder zu Hause betreut werden mussten. (Quelle: dpa, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Wirtschaftspolitik
Wirtschaft kritisiert Altmaier-Pläne für mehr Prüfungen von Firmenbeteiligungen
Die deutsche Wirtschaft wehrt sich gegen Pläne der Regierung, wegen möglicher Sicherheitsbedenken mehr Beteiligungen ausländischer Investoren an deutschen Unternehmen zu prüfen. Das Vorhaben gehe zu weit und über das notwendige Maß hinaus, betonte BDI-Vertreter Mair bei einer Expertenanhörung im Bundestag. Wirtschaftsminister Altmaier will im Außenwirtschaftsgesetz schon bei einer “voraussichtlichen Beeinträchtigung” der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit mehr Veto-Möglichkeiten bekommen; bislang gibt es Prüfungen bei höheren Schwellenwerten und nur bei einer “tatsächlichen Beeinträchtigung” der Sicherheit. Sollten die Änderungen durchgehen, werde zu stark in garantierte Rechte zum Eigentum und zur Vertragsfreiheit eingegriffen, erklärte Mair: „Das bedeutet mehr Unsicherheit für die betroffenen Unternehmen und Investoren.“ Außerdem könne es bei vielen Transaktionen unnötige Zeitverzögerungen geben, weil sie künftig nicht vollzogen werden dürften, bis die Prüfung abgeschlossen sei. “Auf jeden Fall muss eine schwebende Unwirksamkeit einer klar definierten zeitlichen Befristung unterliegen”, forderte der BDI-Vertreter und betonte, sein Verband habe keine Einwände dagegen, dass künftig auch Sicherheitsinteressen der anderen EU-Mitgliedsstaaten in die Prüfung einbezogen werden sollen, wenn sich ein Nicht-EU-Unternehmen ein deutsches Unternehmen einkaufen will. Jedoch gehe der Ermessensspielraum für die Prüfung und Untersagung von Beteiligungen "weit über das notwendige Maß hinaus". In den Fragen der Abgeordneten zeigte sich wiederholt die Sorge vor staatlicher chinesischer Einflussnahme durch Direktinvestitionen in deutsche Unternehmen. Mair sieht hier zwar Handlungsbedarf, aber nicht im Außenwirtschaftsgesetz, sondern in anderen Gesetzen, etwa dem Beihilferecht. (Quelle: Reuters, Bundestag, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
ifo und Helmholtz-Zentrum empfehlen schrittweise Öffnungen
Das ifo Institut und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) haben sich in der Corona-Krise für einen "umsichtigen, schrittweisen Öffnungsprozess" ausgesprochen und empfehlen der Politik, mehr zu testen, um ein Anwachsen der Infektionen bei zunehmenden Lockerungen zu begrenzen. "Diese Maßnahmen sind unentbehrlich, um die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Kosten der Pandemie zu begrenzen", heißt es demnach in einer gemeinsamen Studie der beiden Institute. Eine Strategie umsichtiger, schrittweiser Lockerungen sei "nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich vorzuziehen", erklärten ifo Präsident Fuest und Helmholtz-Experte Meyer-Hermann: "Wenn die Politik kurzfristig mehr Wirtschaftstätigkeit erlaubt, verlängert sich die Phase der Beschränkungen nach unseren Simulationsanalysen so sehr, dass die Gesamtkosten steigen." Ausgehend vom Stand am 20. April zeigten epidemiologische und ökonomische Berechnungen, dass allenfalls eine leichte Lockerung geeignet sei, die ökonomischen Kosten zu minimieren, ohne die medizinischen Ziele zu gefährden. "Nicht zutreffend ist hingegen, dass eine sehr schnelle Lockerung wirtschaftlichen Nutzen stiftet und deshalb ein Konflikt zu gesundheitspolitischen Zielen entsteht", erklärten die Forscher. Vor diesem Hintergrund sei es ein gemeinsames Interesse von Gesundheit und Wirtschaft, "die Lockerung vorsichtig vorzunehmen und sehr intensiv zu beobachten, wie sich die Infektionszahlen entwickeln". Würden die Testkapazitäten deutlich ausgeweitet und mehr Personal für die Erfassung eingestellt, könnte man Fälle früh erkennen und neue Infektionsketten verhindern. Annahme für die Berechnungen ist den Angaben zufolge, dass sich ohne wesentliche Kontaktbeschränkungen 300 Infektionen pro Tag kontrollieren lassen und damit die Wirtschaftsleistung kaum eingeschränkt wird. Bleibe die Ansteckungszahl bei 0,627 und würden die Schließungen, die bis zum 20. April galten, aufrechterhalten, ergäben die Szenarien einen gesamten Wertschöpfungsverlust über die Jahre 2020 und 2021 von knapp 333 Milliarden Euro. Mit knapp 288 Milliarden würde der Großteil auf 2020 entfallen, was 8,8 Prozent der Wirtschaftsleistung des Jahres wären. Der Rest von 45 Milliarden Euro entfiele auf 2021, 1,4 Prozent der Wirtschaftsleistung des Jahres. Leichte Lockerungen mit einer Ansteckungszahl von 0,75 wären dagegen mit einer höheren Wertschöpfung von etwa 26 Milliarden Euro verbunden. Dies entspräche einer Verringerung der volkswirtschaftlichen Kosten um 0,4 Prozentpunkte. Eine weitere Öffnung mit einer Ansteckungszahl von 1 wäre hingegen mit erheblich größeren wirtschaftlichen Kosten verbunden. Eine Verschärfung der Maßnahmen würde in jedem Szenario größere volkswirtschaftliche Kosten verursachen. Um den wirtschaftlich günstigsten Weg einzuschlagen, der mit einer weiteren Eindämmung der Epidemie in Einklang zu bringen sei, sei im Vergleich zu den Maßnahmen am 20. April 2020 eine leichte Lockerung ökonomisch betrachtet einer weiteren Verschärfung zu bevorzugen. Deutlichere Lockerungen seien unter gesundheitlichen wie ökonomischen Aspekten nicht zu empfehlen, hieß es weiter.
(Quelle: Dow Jones, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Energiepolitik
DIHK: Anstieg von EEG-Umlage und Co. verteuert Strom für Betriebe erheblich
Der DIHK warnt vor absehbar drastisch steigenden Strompreisen von 2021 an, die gerade kleineren Betrieben den Re-Start nach der Krise zusätzlich erschweren könnten. „Die EEG-Umlage wird ohne Gegenmaßnahmen zum Jahreswechsel um mehr als 25 Prozent steigen und damit unseren Mittelständlern enorme Probleme bereiten", befürchtet DIHK-Präsident Schweitzer. Das Eigenkapital vieler Firmen sei durch die Corona-Krise bereits jetzt weitgehend aufgezehrt. "In einer solchen Situation sind steigende Strompreise offensichtlich Gift", so Schweitzer. Sie gefährdeten eine Erholung von den wirtschaftlichen Schäden der Corona-Pandemie. Vor allem sei die EEG-Umlage "nur ein Teil der Gefahr": Auch die anderen Umlagen und insbesondere die Netzentgelte werden nach Einschätzung des DIHK-Präsidenten "kräftig zulegen". Die Folge: Strompreissteigerungen von bis zu 20 Prozent für Unternehmen. "Vor diesem Hintergrund sollte die Bundesregierung dringend einen beachtlichen Teil der EEG-Umlage aus dem Bundeshaushalt begleichen", mahnte Schweitzer. Andernfalls würden krisengeschüttelte Unternehmen doppelt bestraft: "Corona-bedingt geringere Umsätze gehen mit geringerem Stromverbrauch einher, und das wiederum führt zu einer höheren EEG-Umlage. Als Teil des Belastungsmoratoriums muss die Politik diese Spirale stoppen", forderte Schweitzer. (Quelle: DIHK, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Steuern / Haushalt
Kommunen: Investitionen geraten unter Druck
Die Corona-Krise wird eine deutliche Zäsur zur positiven Entwicklung der letzten Jahre in den Haushalten der Städte, Gemeinden und Landkreise setzen, wie eine Befragung unter 200 Kommunen des KfW-Kommunalpanels 2020 zeigt. Statt mit Haushaltsüberschüssen und sinkender Verschuldung rechnen die meisten Kommunen jetzt mit einbrechenden Einnahmen, wachsenden Ausgaben und einer wieder ansteigender Verschuldung. 90 Prozent der befragten Kämmereien blicken pessimistisch auf das laufende Jahr, auch für 2021 erwarten acht von zehn Kommunen eine Verschlechterung der Haushaltslage. Die aktuelle Befragung zu den haushaltspolitischen Folgen der Corona-Pandemie ist nicht repräsentativ, gibt jedoch einen belastbaren Eindruck von der kommunalen Betroffenheit. Auf der Einnahmenseite erwarten demnach 42 Prozent der Kommunen einen starken Rückgang, weitere 53 Prozent gehen von tendenziell sinkenden Einnahmen aus. Hauptursache sind zurückgehende Steuereinnahmen, die von 63 Prozent der kommunalen Haushälter prognostiziert werden. Die aktuelle Krise wird nach Einschätzung der Kämmereien auch über das laufende Jahr hinaus spürbare Effekte nach sich ziehen: Ein Viertel der Kämmereien geht auch für 2021 von stark rückläufigen Einnahmen aus. Zugleich rechnet sowohl für das Jahr 2020 als auch für die Folgejahre jede zweite Kommune mit steigenden Ausgaben in allen relevanten Ausgabenkategorien außer bei Investitionen. Rund 70 Prozent der Kämmereien erwarten steigende Sozialausgaben. Auch höhere Sachkosten und eine Zunahme der Personalausgaben werden aus Sicht der Kämmereien die Haushalte substanziell belasten. Auf die Lage reagiert laut KfW-Befragung rund ein Viertel der Kommunen mit kurzfristigen Haushaltssperren, ein Drittel bereitet Nachtragshaushalte vor, um die finanziellen Folgen der Corona-Krise abzufangen. Dies dürfte bei ähnlich vielen Kommunen auch über eine höhere Verschuldung erfolgen. In den meisten Kommunen werden zudem Konsolidierungsmaßnahmen auf der Agenda stehen, damit rechnen 63 Prozent der Umfrageteilnehmer. Im Ergebnis geht jede dritte Kommune von sinkenden oder stark sinkenden Investitionsausgaben im laufenden Jahr aus. Diese Einschätzung ändert sich auch nicht in der mittelfristigen Perspektive ab 2021. Immerhin 26 Prozent der Kommunen halten allerdings steigende Investitionen in den nächsten Jahren für möglich, wenn die Politik Unterstützungsmaßnahmen für die kommunale Ebene auf den Weg bringen kann – allen voran finanzielle Entlastung, die von 49 Prozent als notwendig zur Bewältigung der Krise angesehen werden. (Quelle: KfW, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
Interview
Kirchhoff: Ohne Kaufanreize kommt es zu Entlassungen
Der geschäftsführende Gesellschafter der Kirchhoff-Gruppe über die Grenzen der Kurzarbeit, den Hebel der Autoindustrie und den Optimismus der Unternehmer.
HB:
Herr Kirchhoff, was ist momentan Ihre größte Sorge als Chef eines Autozulieferers?
Kirchhoff:
Die Frage, wie wir zur neuen Normalität kommen. Dazu gehört vor allem, dass auch der Absatz wieder funktioniert. Das gilt aber nicht nur für uns und die Autozulieferer, sondern für alle Unternehmen. Es muss wieder gekauft werden.
HB:
Die Autobranche ruft so ungeniert und vehement nach Kaufprämien wie nie zuvor, obwohl sie sich zum Beispiel beim Thema Elektromobilität lange Zeit gelassen hat.
Kirchhoff:
Die Stahlindustrie ist kurz davor, die Hochofen auszustellen, die Chemieindustrie liefert ebenfalls vieles an die Autoindustrie. Wir Autozulieferer bestellen nicht eine Maschine, wenn wir nicht sehen, dass es weitergeht. Und die Autohäuser, die nichts verkaufen, gehen ganz schnell pleite. Die Autoindustrie ist einfach der allergrößte Hebel. Davon hängen mehr als sechs Millionen Arbeitsplätze ab.
HB:
Die europäischen Nachbarn sehen das kritisch bis neidisch!
Kirchhoff:
Aber sie profitieren auch davon. In der Autoindustrie kommen 60 Prozent der Vorleistungen aus der EU, beim Maschinenbau sind es sogar 70 Prozent. Beide Industrien sind besonders vernetzt in Europa. Setzt Deutschland Impulse, springen die Produktionen in ganz Europa wieder an. Dann brauchen die Länder auch keine Konjunkturprogramme dort. Deutschland hat ja mehr Geld für solche Programme.
HB:
Aber gesamtgesellschaftlich wäre eine Mobilitätsprämie doch besser.
Kirchhoff:
Wir wollen gar nicht nur eine Kaufprämie für Autos, wir können gern Mobilität fördern. Wir haben auch vorgeschlagen, Ladestationen zu fördern. Aber bedenken Sie, wir haben erst 43 Prozent grünen Strom hierzulande. Das muss man bei der Klimabilanz der Elektromobilität beachten. Insofern ist ein moderner Verbrenner oft besser.
HB:
Welche Alternativen zur Kaufprämie für Autos sehen Sie?
Kirchhoff:
Auch ein zinsloser Kredit wäre eine Möglichkeit, es geht darum, dass die Menschen wieder etwas kaufen. Mir ist da jedes Mittel recht, damit man die Belastung gering hält.
HB:
Eine Autoprämie wäre auch ungerecht anderen Branchen gegenüber, die einen Einbruch von 99 Prozent verzeichnen und nicht auf Nachholeffekte hoffen dürfen.
Kirchhoff:
Das stimmt. Wenn man hilft, dann muss man allen betroffenen Branchen helfen, und wir erkennen durchaus an, dass es Branchen gibt, denen es schlechter geht. Veranstaltung, Gastronomie, Handel und auch die Schausteller! Denken Sie nur daran, dass das Geld für eine Prämie ja nicht die Autoindustrie bekommt, sondern die Verbraucher.
HB:
Und dann werden vielleicht mit viel Glück Käufe etwas vorgezogen, die dann im Folgejahr wieder fehlen.
Kirchhoff:
Das wissen wir in der Autoindustrie, und damit können wir umgehen. Viel wichtiger ist, dass es jetzt einfach mal losgeht.
HB:
Was passiert bei Kirchhoff, wenn es keine Kaufprämie für Autos oder Mobilität gibt?
Kirchhoff:
Dann werden wir noch lange in diesem Zustand verharren. Bei uns sind 66 Prozent der deutschen Belegschaft in Kurzarbeit. Im Ausland ist es praktisch auch so. Wir haben Gott sei Dank niemanden entlassen, das ist ja das Gute an der Kurzarbeit. Aber es ist kein Instrument für die Ewigkeit.
HB:
Also ohne Kaufanreize drohen auf jeden Fall Entlassungen?
Kirchhoff:
Ja. Das kann man so sagen.
HB:
Aber welcher Beschäftigte kauft sich ein Auto, wenn er sich in Kurzarbeit befindet? Derzeit geht die Bundesagentur für Arbeit von mehr als zehn Millionen Kurzarbeitern aus.
Kirchhoff:
Genau das ist das Problem. Deshalb wollen wir Kaufanreize, damit wir die Leute rauskriegen aus der Kurzarbeit. Wenn sie in Kurzarbeit bleiben, dann konsumieren sie nicht. Und Konsum ist auch aus staatlicher Sicht sehr wichtig. Wenn mehr Menschen arbeiten und die Firmen wieder Umsätze generieren, kommen auch die Steuern wieder, wie Lohnsteuer, Umsatzsteuer, auch in den Kommunen die Gewerbesteuer. Verharren wir in der Kurzarbeit, finanzieren wir Sozialsysteme. Und das geht auch nicht ewig.
HB:
Sie meinen, weil wir die Wirtschaft wieder hochfahren müssen?
Kirchhoff:
Ja, die Bundesregierung hat es ja richtig gemacht. Nur so konnte man die Erfolge bei der Eindämmung der Pandemie erreichen. Das sieht doch jeder ein. Aber jetzt müssen wir zurück an die Arbeit und den Konsum anwerfen.
HB:
Wie stark war bei Ihnen der Einbruch?
Kirchhoff:
Wir haben einen Rückgang des Absatzes von 80 bis 90 Prozent. Die Werke standen still bis auf wenige Mitarbeiter, die dafür gesorgt haben, dass die notwendigen Komponenten nach China geliefert werden konnten. Das waren aber nur zehn Prozent. Wir haben den Absatz in China gebremst, weil wir hier nicht liefern konnten.
HB:
Und warum sind dann nur 66 Prozent bei Kirchhoff in Kurzarbeit?
Kirchhoff:
Wir müssen zukunftsfähig bleiben. Daher arbeiten wir in der Produktentwicklung und bei Digitalisierungsprojekten weiter wie bisher, wie im übrigen auch die Hersteller. Da wird gar nichts gestoppt. Die Zukunft findet statt. Deshalb geht auch unsere Entwicklungsarbeit für die Karosserien zukünftiger Elektrofahrzeuge uneingeschränkt weiter. Es gibt z.?B. nicht nur völlig andere Bodengruppen, die jetzt geschützt die großen Batterien für den E-Motor aufnehmen müssen. Auch die Crashmanagementsysteme im Fahrzeugvorderbau müssen völlig anders konzipiert werden, da ja die Verbrennungsmotoren fehlen, die bei einem Unfall sonst einen großen Teil der Aufprallenergie aufnehmen.
HB:
Werden die chinesischen und amerikanischen Techfirmen die deutsche Autoindustrie abhängen?
Kirchhoff:
Nein, aber es ist auch nach wie vor für die Mittelständler wichtig, den Netzausbau voranzutreiben. Das digitale Netz ist Voraussetzung für die Energie- und Mobilitätswende.
HB:
Also Sie arbeiten weiter an digitaler Transformation und Klimazielen?
Kirchhoff:
Ja, wir arbeiten mit Hochdruck an den digitalen und klimaschonenden Transformationsprojekten. Wir haben auch bei modernen Verbrennungsmotoren einen richtigen Sprung bei der Reduzierung von CO2, Stickoxid und Feinstaub erreicht. Bei Stickoxid haben wir Reduzierungen um den Faktor sechs bis acht, bei Feinstaub um den Faktor drei bis vier erreicht. Was derzeit nicht funktioniert, sind die Produktion und der Verkauf.
HB:
Wird der Netzausbau durch die Coronakrise verlangsamt?
Kirchhoff:
Da machen drei Monate nichts aus. Aber es muss natürlich jetzt weiter gehen. Sonst werden Mittelständler in den Regionen abgehängt.
HB:
Wie läuft die Produktion im Mai an?
Kirchhoff:
Das lässt sich ganz langsam an. Wir sind derzeit bei 40 Prozent der Normalproduktion. Allerdings mit steigender Tendenz. Im Juni wollen wir 60 Prozent erreichen.
HB:
Werden Sie dieses Jahr noch eine Auslastung von 100 Prozent erreichen?
Kirchhoff:
Wir bei Kirchhoff gehen davon aus, dass wir 100 Prozent erst im Herbst 2021 erreichen werden. Bei Bosch und Schaeffler geht man offenbar noch von einem späteren Zeitpunkt aus.
HB:
Blicken wir mal auf Ihre Werke weltweit: Wie sieht es da aus?
Kirchhoff:
Alle Werke in Mexiko, den USA und Kanada stehen gerade still. Wir kämpfen dafür, dass der bis 1. Juni geplante Shutdown in Mexiko früher beendet wird. Da sonst die Werke in den USA und Kanada nicht anlaufen können, und in den USA soll es ja früher losgehen. Das gilt für alle Hersteller und Zulieferer.
HB:
Für die meisten Mittelständler ist Liquiditätssicherung die größte Herausforderung, das Geld fließt wöchentlich ab, klagen sie. Wie ist es bei Ihnen?
Kirchhoff:
Die Sorgen machen wir uns nicht, wir als Familienunternehmen haben bereits vor drei Jahren damit begonnen, uns auf den drohenden Abschwung vorzubereiten, wir sind daher liquiditätsmäßig gut aufgestellt. Ich hoffe, das gilt für viele Mittelständler.
HB:
Wie lange können Sie durchhalten?
Kirchhoff:
Das möchte ich nicht sagen.
HB:
Es wird erst im Juni entschieden, ob es Kaufprämien geben wird und für was …
Kirchhoff:
Die Politik braucht schon ein bisschen Zeit, sie muss schauen, wo sie wirklich gebraucht werden, und wo es ungerechtfertigt ist.
HB:
Sind Sie als VDA oder Chef der Unternehmer NRW derzeit näher an der Politik als früher?
Kirchhoff:
Die Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft war noch nie so eng. Wir treffen uns wöchentlich im Land und im Bund, das kann man nur loben. Und: Noch machen alle mit. Wir alle versuchen, dass es noch ein V wird mit der Konjunktur und kein L. Wir haben der Politik empfohlen, dass man Konjunkturprogramme auch rückwirkend machen kann. Also bekommen die Konsumenten einen Gutschein oder einen Rabatt.
HB:
Gerade hat eine Umfrage gezeigt, dass die deutschen Mittelständler trotzdem optimistisch sind. Wie erklären Sie das?
Kirchhoff:
Stellen Sie sich vor, Unternehmer wären Pessimisten, dann könnte Deutschland einpacken. Die Verbraucher sind verständlicherweise gerade pessimistisch. Es ist unsere Aufgabe, dass sie wieder zur Arbeit kommen dürfen. Damit können wir das sichtbarste Zeichen für Zuversicht setzen.
(Quelle: Handelsblatt / Interview: Anja Müller, M+E-Newsletter Gesamtmetall)