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VSU-Schlagzeilen 11.03.2022

Coronafallzahlen steigen weiter an / Industrie warnt vor Folgen eines Öl- und Gas-Importstopps / Wirtschaftsministerium prüft größere Reserve von Braunkohlekraftwerken

Erinnerung: Gesamtmetall und IG Metall rufen gemeinsam die Betriebe und die Beschäftigten in den Unternehmen der deutschen M+E-Industrie zu einer Schweigeminute für die Opfer des Ukraine-Krieges auf.  
Am heutigen Freitag wollen wir um 11 Uhr gemeinsam der Opfer des von Russlands Präsident Wladimir Putin ausgehenden Angriffskriegs gedenken und so ein Zeichen für Frieden in der Ukraine setzen.
ME Saar schließt sich dem Aufruf an.

 

Saarland
Coronafallzahlen steigen weiter an  
Bis Mai Coronalockerungen an Schulen  
Bundesratsintiative gegen Energiepreise

Konjunktur
Industrie warnt vor Folgen eines Öl- und Gas-Importstopps
Regelinsolvenzen in Deutschland steigen im Februar
IW: Russland ein Hauptlieferant für Diesel in der EU
EZB erwartet deutlich höhere Inflation und schwächeres Wachstum

Energiepolitik
Wirtschaftsministerium prüft größere Reserve von Braunkohlekraftwerken
IW: Gas-Lieferstopp würde große Schäden verursachen
EU-Parlamentspräsidentin für Einschränkung russischer Energie-Importe

Politik
Spitzenverbände der Wirtschaft starten Initiative #WirtschaftHilft
 
Interview
Gesamtmetall-Präsident Wolf zu Folgen des Ukraine-Krieges


Saarland

Coronafallzahlen steigen weiter an  
Im Saarland jagt bei den Coronazahlen ein Rekord den nächsten. Am Freitag wurde der Höchstwert von 3541 neuen Fällen gemeldet. Die Inzidenz sprang von 1680,6 auf 1756,6. Mit drei weiteren Toten stieg ihre Gesamtzahl auf 1434. Bundesweit wurde über eine Viertelmillion Neuinfektionen registriert. Die Inzidenz stieg von 1388,5 auf 1439,0. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums werden 325 Infizierte im Krankenhaus behandelt, 22 von ihnen auf der Intensivstation (Stand 9.3.). (Quelle: sr-online)

Bis Mai Coronalockerungen an Schulen  
Spätestens bis Mai sollen alle pandemiebedingten Einschränkungen des Schulbetriebs entfallen. Dazu zählen insbesondere auch die Pflicht zum Tragen von Masken und die anlasslosen Testungen. Das hat die Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossen. Saar-Bildungsministerin Streichert-Clivot sagte, jeder, der wolle, könne aber natürlich weiter eine Maske tragen, um sich zu schützen. Thema der KMK war auch die schulische Betreuung von aus der Ukraine geflüchteten Kindern. Im Saarland besuchen dem Bildungsministerium zufolge bisher neun ukrainische Kinder die Schule. (Quelle: sr-online)

Bundesratsintiative gegen Energiepreise  
Die Landesregierung hat angekündigt, heute eine Initiative gegen hohe Energiepreise in den Bundesrat einzubringen. Darin wird u.a. eine kurzfristige Senkung der Energiesteuer und der Mehrwertsteuer auf Mineralölprodukte gefordert. Zudem sollten die Homeoffice-Regelungen verstetigt werden. Falls die Kraftstoffpreise weiter steigen, sollte die Höhe der Pendlerpauschale überprüft werden. Ministerpräsident Hans sagte, die Energiefrage dürfe nicht zu einer sozialen Frage werden. (Quelle: sr-online)

 

Konjunktur
 
Industrie warnt vor Folgen eines Öl- und Gas-Importstopps
Mit Blick auf schon spürbare Beeinträchtigungen der deutschen Wirtschaft warnen deren Vertreter vor den Folgen weiterer Sanktionen wie einem Gas-Embargo gegen Russland. Gesamtmetall-Präsident Wolf machte deutlich: „Wenn Deutschland sich dazu entschließen sollte, kein Gas oder Öl aus Russland mehr zu importieren, würde sich das dramatisch auf unsere Industrie, aber auch auf die Privathaushalte auswirken. Die Inflation wäre zweistellig. Die Versorgungssicherheit wäre ernsthaft gefährdet.“ Allein durch eine Abschaltung der Pipeline Nord Stream 1 würde Gas in einem Umfang von etwa 550 Terawattstunden ausfallen, erläuterte Wolf: „Bei einem Bedarf von rund 950 Terawattstunden pro Jahr.“ Langfristig müsse Deutschland zwar auf jeden Fall unabhängiger von russischen Importen werden, betonte der Gesamtmetall-Präsident: „Kurzfristig fehlen uns aber trotz der Bemühungen von Bundesregierung und EU-Kommission schlichtweg die Alternativen.“
DIHK-Hauptgeschäftsführer Wansleben betonte, in der deutschen Wirtschaft gebe es „eine breite Zustimmung für die harten Sanktionen. Denn Krieg ist keine Basis für Geschäfte.“ Die bisherigen Sanktionen begännen Schritt für Schritt zu wirken. Aufgrund „konkreter Hinweise aus den Unternehmen“ wisse man, dass die Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten nicht unterschätzt werden dürften, sagte Wansleben: „Das gilt nicht nur für weiter steigende Energiepreise, sondern gerade auch für Verwerfungen in den Lieferketten mit großer Breitenwirkung in der Wirtschaft.“ Immer mehr mittelständische Industriebetriebe könnten sich bei diesen Preisen die Produktion in Deutschland nicht mehr leisten. „Hinzu kommt die Sorge, die eigenen Anlagen wegen Energieengpässen zumindest vorübergehend abschalten zu müssen. Diese wirtschaftliche Situation sollte jede Politikerin und jeder Politiker in Europa berücksichtigen“, sagte Wansleben.
Ifo-Präsident Fuest warnt wegen des Ukraine-Kriegs vor deutlich steigender Inflation. "Wenn es einen Lieferstopp geben würde, dann würden die Preise noch einmal sehr stark ansteigen", sagte Fuest: "Dann können es deutlich mehr als 5 Prozent werden." Der Preisanstieg würde sich dann aber nicht nur auf das Öl beziehen, betonte Fuest: „Auch Lebensmittel verteuern sich." Die Entscheidung für einen Lieferstopp sei eine politische, so der Ifo-Präsident: "Ökonomisch ist klar, dass die Kosten für uns relativ hoch wären, aber für Russland natürlich auch." Mit Blick auf die heutige EZB-Sitzung riet Fuest: "Das Beste wäre aus meiner Sicht abzuwarten, keine neuen Beschlüsse zu fassen, sondern bei dem bisherigen Kurs zu bleiben. In einer Situation mit sehr hoher Unsicherheit ist es am besten, wenn man sich alle Optionen offenhält." (Quelle: Dow Jones, dpa – Wolf siehe auch Interview M+E-Newsletter, Gesamtmetall)
 
Regelinsolvenzen in Deutschland steigen im Februar
Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen in Deutschland ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Februar um 4,2 Prozent gegenüber Januar gestiegen. Die Insolvenzzahlen waren im Verlauf der Corona-Pandemie durch gesetzliche Sonderregelungen und Wirtschaftshilfen zeitweise deutlich zurückgegangen; seit Mai 2021 sind keine Sonderregeln aufgrund der Corona-Pandemie mehr in Kraft. Im Januar waren die Regelinsolvenzen um 17,2 Prozent gegenüber dem Vormonat gesunken. Im Gesamtjahr 2021 haben die Amtsgerichte den Angaben zufolge 13.993 beantragte Unternehmensinsolvenzen gemeldet und damit 11,7 Prozent weniger als im Jahr 2020. Damit war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen auch im zweiten Jahr der Corona-Krise rückläufig und erreichte den niedrigsten Stand seit Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999. Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen 2021 um 25,4 Prozent niedriger. Die voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger aus den im Jahr 2021 gemeldeten Unternehmensinsolvenzen belaufen sich auf rund 48,3 Milliarden Euro nach rund 44,1 Milliarden im Vorjahr. Der Anstieg der Forderungen trotz rückläufiger Zahl der Unternehmensinsolvenzen beruht darauf, dass 2021 mehr wirtschaftlich bedeutende Unternehmen Insolvenz beantragt haben als 2020. (Quelle: destatis, Dow Jones M+E-Newsletter, Gesamtmetall)
 
IW: Russland ein Hauptlieferant für Diesel in der EU
Russland liefert in die EU nicht nur Energierohstoffe, sondern auch große Mengen an verarbeiteten Mineralölprodukten und spielt eine prominente Rolle insbesondere bei der Versorgung mit Dieselkraftstoff: 2019 wurden nach Eurostat-Angaben insgesamt 18,8 Millionen Tonnen Dieselkraftstoff aus Russland in die EU-27 importiert. In Deutschland betrug der russische Anteil an den Dieselimporten fast 33 Prozent. Eurostat weist für die EU-27 im Jahr 2019 einen Dieselendenergieverbrauch aus, welcher bei gängigen Umrechnungsfaktoren 178 Millionen Tonnen Dieselkraftstoff entspricht. Mit etwas über 33 Millionen Tonnen wird Deutschland dabei der größte Verbrauch zugeschrieben, allerdings nur mit einem geringen Vorsprung vor Frankreich mit 30,4 Millionen Tonnen. Der relativ hohe Verbrauch in Frankreich sei darauf zurückzuführen, dass Frankreich bereits lange vor Deutschland auf den Dieselmotor im Pkw-Bereich gesetzt und somit auch einen höheren Anteil von Dieselfahrzeugen in der Gesamtflotte habe, erläutert das IW. Werden Dieselimporte aus Russland in Relation zum Endenergieverbrauch im Straßenverkehr gesetzt, beträgt der Anteil russischer Importe über die EU-27-Staaten insgesamt gut 10,5 Prozent. Den höchsten Wert weist die Statistik für Slowenien aus, wo die russischen Importe äquivalent zu etwas mehr als 57 Prozent des Dieselverbrauchs im Straßenverkehr sind. Deutschland liegt mit etwa 14,6 Prozent eher im Mittelfeld; sehr hoch ist die Quote hingegen im Vereinigten Königreich mit fast 24 Prozent. (Quelle: IW,  M+E-Newsletter, Gesamtmetall)

EZB erwartet deutlich höhere Inflation und schwächeres Wachstum
Der Krieg in der Ukraine dämpft nach EZB-Einschätzung die Konjunkturaussichten für den Euroraum und heizt durch höhere Energiepreise die Inflation an. Nach aktueller EZB-Prognose wird die Teuerungsrate in diesem Jahr bei 5,1 Prozent liegen; im Dezember war die Notenbank noch von 3,2 Prozent ausgegangen. Im kommenden Jahr rechnet sie im Jahresschnitt mit einer Preissteigerung von 2,1 Prozent (Dezember-Prognose: 1,8 Prozent). Für 2024 sagt die EZB eine Inflationsrate von 1,9 Prozent im gemeinsamen Währungsraum voraus (Dezember: 1,8 Prozent). Die Wirtschaft im Euroraum wird nach der neuesten EZB-Vorhersage in diesem Jahr um 3,7 Prozent zulegen (Dezember-Prognose: 4,2 Prozent). Im Jahr 2023 soll das BIP um 2,8 Prozent wachsen (Dezember: 2,9 Prozent) und ein Jahr später um 1,6 Prozent (Dezember: 1,6 Prozent). EZB-Präsidentin Lagarde betonte, die Notenbank sei angesichts des Ukraine-Kriegs bereit, alles Erforderliche einzuleiten, um Preis- und Finanzstabilität im Euroraum sicherzustellen: "Wir werden für reibungslose Liquiditätsbedingungen sorgen und die von der Europäischen Union und den europäischen Regierungen beschlossenen Sanktionen umsetzen." Die EZB werden alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um das Mandat der EZB zu erfüllen, Preisstabilität anzustreben und die Finanzstabilität zu sichern. (Quelle: dpa, Reuters M+E-Newsletter, Gesamtmetall)
  
 
Energiepolitik
 
Wirtschaftsministerium prüft größere Reserve von Braunkohlekraftwerken
Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit erwägt das Wirtschaftsministerium eine verstärkte Nutzung von Braunkohlekraftwerken als Reserve, wie aus einem Papier des Ministeriums zur sogenannten Sicherungsbereitschaft hervorgeht. Diese Kraftwerke sind abgeschaltet, könnten bei Bedarf aber innerhalb von bis zu elf Tagen aktiviert werden. Es gibt bereits Braunkohlekraftwerke in dieser Reserve. Das Ministerium prüft nun, ob Kraftwerke länger Teil der Reserve bleiben können und auch, ob Kraftwerke, die demnächst stillgelegt werden sollten, ebenfalls Teil der Reserve werden sollen. (Quelle: dpa M+E-Newsletter, Gesamtmetall)
 
IW: Gas-Lieferstopp würde große Schäden verursachen
Das IW warnt vor einem "unkalkulierbaren Risiko" für den Fall eines vollständigen Lieferstopps von Gas aus Russland. "Ein Lieferstopp von Nord Stream 1 oder der Ukraine-Leitung wäre mengenmäßig für eine gewisse Zeit kompensierbar, würde aber durch sehr hohe Preise große Schäden verursachen", erklärte IW-Ökonom Schaefer. Würde das komplette russische Pipelinegas ausbleiben, entstünde laut dem Thinktank Bruegel eine Lücke von 1.550 TWh. Dem hätten 2021 freie Kapazitäten an Flüssiggas (LNG) von etwa 1.160 TWh gegenübergestanden. Jedoch seien die tatsächlich nutzbaren Kapazitäten deutlich geringer. Neben begrenzten Produktionskapazitäten in den Exportländern und meist langfristigen LNG-Verträgen hapere es vor allem am innereuropäischen LNG-Weitertransport. Ein als kurzfristige Lösung propagierter geringerer Verbrauch würde vor allem die Industrie treffen, die über einen längeren Zeitraum erhebliche Einschränkungen ihrer Produktion hinnehmen müsste. "Damit einher ginge ein hohes wirtschaftliches und soziales Risiko", warnte Schaefer. Zudem sei unwahrscheinlich, dass deutsche und europäische Privatverbraucher und Unternehmen ihren Verbrauch sogar über Jahre einschränkten. Eine gemeinsame europäische LNG-Beschaffung könnte laut IW aber etwas Luft verschaffen: Würde Europa gemeinsam LNG auf dem Weltmarkt einkaufen, wäre die Verhandlungsstrategie deutlich komfortabler. Alternativ könnte auch der Staat möglichst viel am LNG-Markt kaufen und marktgerecht im Inland anbieten, das würde die Nachfrage nach russischem Gas senken, während der Staat Defizite selbst finanzieren würde. "Verantwortliche Politik muss die Gesamtwirkung, die durch Kollateraleffekte beim Import kritischer Rohstoffe und weiter ausgeweiteten Produktionsausfall drohen kann, beachten", sagte IW-Direktor Hüther: "Mittelfristig müssen wir alles tun, um vom russischen Gas unabhängig zu werden und dafür den Ausbau erneuerbarer Energien forcieren." (Quelle: Dow Jones, IW M+E-Newsletter, Gesamtmetall)
 
EU-Parlamentspräsidentin für Einschränkung russischer Energie-Importe
Die Präsidentin des EU-Parlaments, Metsola, fordert eine Einschränkung der russischen Importe von Gas, Öl und Kohle in die EU. Man müsse Russland „eine klare Botschaft schicken“ und die russischen Exportgüter beschränken, forderte Metsola. Mehrere EU-Länder wie Litauen, Lettland und Polen fordern, die Energie-Importe aus Russland komplett zu stoppen, um dem russischen Staat seine Haupteinnahmequelle zu nehmen und die weitere Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine zu erschweren. Das EU-Parlament hatte vergangene Woche bereits in einer Resolution eine Beschränkung der Einfuhr der wichtigsten russischen Exportgüter, einschließlich Öl und Gas, gefordert. (Quelle: dpa M+E-Newsletter, Gesamtmetall)


Politik
 
Spitzenverbände der Wirtschaft starten Initiative #WirtschaftHilft
BDA, BDI, DIHK und ZDH haben angesichts des Ukraine-Kriegs in enger Zusammenarbeit die Initiative #WirtschaftHilft (https://www.wirtschafthilft.info/) ins Leben gerufen, um eine bedarfsgerechten Hilfe bei der Integration von Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt zu leisten. Die Initiative stellt Informationen zur Verfügung, die für einen guten Zugang und die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt notwendig sind – rund um Fragen des Aufenthalts- und Arbeitsrechts, der Arbeitsvermittlung, von Förderinstrumenten sowie des Sozialversicherungsrechts. „Die große Welle an Hilfsbereitschaft in Unternehmen und Zivilgesellschaft ist überwältigend. Seit Kriegsbeginn engagieren sich zahlreiche Unternehmen mit vielfältigen Initiativen. Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft möchten die Unternehmen dabei unterstützen, ihre Hilfsangebote an der Situation vor Ort auszurichten“, so die Verbände. #WirtschaftHilft informiert unter anderem über konkrete staatliche Bedarfslisten und deren organisatorische Abwicklung von Spenden, inklusive Kontaktmöglichkeiten u. a. auch zu ukrainischen Unternehmen. Die Website bietet einen Überblick zu möglichen Empfängerorganisationen für finanzielle Spenden. Weitere Inhalte betreffen den guten Zugang und die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt rund um die Fragen Aufenthalts- und Arbeitsrecht, Arbeitsvermittlung, Förderinstrumente sowie Sozialversicherungsrecht. #WirtschaftHilft bündelt darüber hinaus insbesondere Informationen zu den Themen Wirtschaftshilfen und Kurzarbeitergeld.
(Quelle: BDA, dpa M+E-Newsletter, Gesamtmetall)
 
 
Interview
 
Gesamtmetall-Präsident Wolf zu Folgen des Ukraine-Krieges
FAZ:
Herr Wolf, die offene, fast grenzenlose Weltwirtschaft ist die Erfolgsgrundlage der deutschen Industrie. Was folgt aus der Konfrontation mit Russland und der neuen Weltlage – erleben wir womöglich gerade das Ende der Globalisierung?
Wolf:
Auch wenn in diesen Zeiten vieles nicht mehr unumstößlich erscheint: Das kann ich mir nicht vorstellen. Natürlich führt der furchtbare Krieg in der Ukraine, neben allem menschlichen Leid, auch wirtschaftlich zu heftigen Verwerfungen. Da sind die drastisch steigenden Energiepreise und es sind Lieferketten gestört durch Produktionsausfälle in der Ukraine. Aber ich sehe nicht, warum dies auf das Ende einer im Grundsatz offenen, vernetzten Weltwirtschaft zulaufen sollte.
FAZ:
Teure Energie verteuert Transporte, das trifft den ganzen Welthandel. Und wir erleben die veränderte Rolle Chinas in diesem Konflikt. Was, wenn die Welt wie im Kalten Krieg in Blöcke zerfällt?
Wolf:
Bei allen Risiken, ich bin da nicht so pessimistisch. Man sollte die Kraft des Ökonomischen nicht unterschätzen. Denn was hat die Globalisierung in den vergangenen 20, 25 Jahren bewirkt? Sie hat so vielen armen Ländern und den Menschen dort einen Zugang zu steigendem Wohlstand verschafft. Es kann doch niemand ernsthaft anstreben, dass das alles wieder zurückgedreht wird. Ich bleibe auf jeden Fall ein entschiedener Befürworter der Globalisierung.
FAZ:
Aber auch hierzulande häufen sich Rufe nach einer Rückverlagerung von Produktion, nach mehr Autarkie.
Wolf:
Richtig ist, dass wir bei Investitions- und Standortentscheidungen künftig deutlich stärker auf Liefersicherheit und politische Risiken achten müssen. Das haben schon die Folgen der Corona-Pandemie gezeigt – Stichwort: Chipmangel in der Autoindustrie. Und jetzt erleben wir ja gerade, was passiert, wenn plötzlich die Produktion von Kabelbäumen in der Ukraine ausfällt: Wieder stehen in der Autoindustrie der Bänder still. Tatsächlich wurde in der Vergangenheit manche Auslandsinvestition etwas zu einseitig an Kriterien wie niedrigen Lohnkosten und Steuern ausgerichtet. Das wird sich ändern müssen.
FAZ:
Also doch weg von der Globalisierung?
Wolf:
Nein, das heißt es nicht. Unsere Unternehmen haben ja auch nicht allein deshalb in Produktionsstätten im Ausland investiert, um damit hohen Lohn- und Produktionskosten im Inland auszuweichen. Es ging immer auch darum, neue Märkte zu erschließen, auf denen unsere Unternehmen als bloße Exporteure nur schwer Fuß gefasst hätten. Solange es Länder gibt, in denen sich dieser Ansatz zum beiderseitigen Vorteil nutzen lässt, wird es dieses Bestreben immer geben. Und indirekt tragen diese Investitionen immer auch dazu bei, Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Deshalb: Ja, wir müssen Lieferketten sicherer machen, zum Beispiel Bezugsquellen stärker diversifizieren. Aber eine Abkehr von internationaler Arbeitsteilung wäre völlig falsch.
FAZ:
Der Ruf nach einem vollständigen Gas- und Ölboykott wird in der aktuellen Debatte immer lauter...
Wolf:
Hier müssen wir realistisch sein. Wenn Deutschland sich dazu entschließen sollte, kein Gas oder Öl aus Russland mehr zu importieren, würde sich das dramatisch auf unsere Industrie, aber auch auf die Privathaushalte auswirken. Die Inflation wäre zweistellig. Die Versorgungssicherheit wäre ernsthaft gefährdet. Allein durch eine Abschaltung von Nord Stream 1 würden ca. 550 Terawattstunden ausfallen, bei einem Bedarf von rund 950 Terawattstunden pro Jahr. Langfristig ist klar, dass wir unabhängiger von russischen Importen werden müssen, kurzfristig fehlen uns aber trotz der Bemühungen von Bundesregierung und EU-Kommission schlichtweg die Alternativen.
FAZ:
Wie wirken sich der Krieg in der Ukraine und der Konflikt mit Russland derzeit auf Ihr Unternehmen aus, den Autozulieferer Elring-Klinger?
Wolf:
Wir gehören zwar nicht zu den rund 2.000 deutschen Unternehmen, die Beteiligungen in der Ukraine haben und nun ganz direkt vom Krieg betroffen sind – deren Mitarbeiter nun schlicht um ihr Leben fürchten müssen. Mittelbar sind die Auswirkungen aber auch für uns erheblich: Eben weil ein Zulieferer in der Ukraine keine Kabelbäume mehr produzieren kann, stehen in der Autoindustrie nun schon wieder die Bänder still. Und damit nehmen die Hersteller automatisch auch entsprechend weniger von unseren Antriebskomponenten ab. So geht es jetzt natürlich ganz vielen Zulieferern. Das zeigt, wie verletzlich manche unserer Lieferketten bisher sind.
FAZ:
Sind das Probleme der Autoindustrie oder gilt das für alle Branchen?
Wolf:
Die Gefahr solcher Ausfälle gibt es natürlich in vielen Branchen. Allerdings schlagen sie in der Autoindustrie durch ihre Strukturen – hohe Stückzahlen und Just-in-time-Produktion statt Lagerhaltung – sofort auf alle Bereiche durch. Bei einem großen Einzelprojekt im Maschinenbau zum Beispiel treten solche Probleme eher verzögert auf, und der Ausfall eines Bauteils bremst nicht immer gleich die ganze Branche. Aber für das einzelne Unternehmen kann es die Abläufe natürlich trotzdem empfindlich stören.
FAZ:
Wie gehen Sie und ihre Unternehmerkollegen jetzt mit dieser Lage um?
Wolf:
Das ist vor allem für unsere Mitarbeiter schon rein psychologisch ein sehr harter Rückschlag. Nach zwei Jahren mit all den Belastungen der Corona-Pandemie keimte gerade etwas neue Zuversicht auf – und nun wirft uns direkt die nächste Megakrise zurück. Umso wichtiger ist es, dass unsere Unternehmen jetzt dringend neue Zusagen der Bundesregierung benötigen, um in dieser Lage die Arbeitsplätze unserer Beschäftigten weiter zu sichern. Dazu brauchen wir auf jeden Fall noch einmal ein Nachsteuern bei den Regelungen zum Kurzarbeitergeld.
FAZ:
Die Ampelkoalition bringt doch gerade schon ein Gesetz auf den Weg, um die Corona-Sonderregeln für Kurzarbeit bis Juni zu verlängern. Reicht das nicht?
Wolf:
Leider greift das in dreierlei Hinsicht zu kurz: Erstens: Die Unternehmen brauchen damit jetzt eine Perspektive, die zumindest bis Jahresende 2022 reicht, denn bis Juni werden die neuen Probleme kaum ausgestanden sein. Zweitens: Die Unternehmen brauchen weiter die vollständige Entlastung von Sozialversicherungsbeiträgen auf das Kurzarbeitergeld. Und drittens: Es muss auch Zeitarbeitern der Zugang zu Kurzarbeit offen bleiben – was jetzt in der Industrie eine viel größere Rolle spielt als etwa im Gastgewerbe, das zuvor von der Corona-Krise besonders betroffen war. Mit dem bisherigen Entwurf würden alle diese Punkte nicht verlängert. Schon im Februar hatten dies viele Fachleute kritisiert, und das war noch vor dem Krieg in der Ukraine.
FAZ:
Die Politik soll auch für Entlastung von hohen Energiekosten sorgen. Sie haben dazu gemeinsam mit der IG Metall kürzlich einen Aufruf verfasst...
Wolf:
...in der Tat, das ist die andere Aufgabe, die jetzt ganz wichtig ist. Denn wir laufen da auf eine sehr, sehr schwierige Situation zu: Die Leute zahlen beim Tanken mehr als zwei Euro für den Liter Benzin, die Heizkosten schießen durch die Decke, und das alles sind Belastungen, denen sie ja nicht einfach ausweichen können.
FAZ:
Entsprechend höher werden die Erwartungen in den kommenden Lohnrunden sein, dass die Tarifpolitik für einen Ausgleich der Teuerung sorgt. Mit Recht?
Wolf:
Bis zu unserer nächsten Tarifrunde in der Metall- und Elektro-Industrie ist es noch einige Monate hin, da will ich jetzt nicht vorgreifen. Aber nach Lage der Dinge bekommen wir es mit einem ernsten Zielkonflikt zu tun. Denn die hohen Energiepreise treffen ja auch die Unternehmen. Nicht zu vergessen: Schon zuvor waren infolge der Pandemie die Materialpreise stark gestiegen.
FAZ:
Was also tun?
Wolf:
Umso mehr kommt es darauf an, dass die Politik alle Möglichkeiten ergreift, den Anstieg der Energiekosten mit ihren Mitteln zu dämpfen. Das heißt: Die Erneuerbare-Energien-Umlage gehört schnellstmöglich abgeschafft, die Stromsteuer muss auf das europarechtlich vorgegebene Minimum gesenkt werden. Und auch andere Verbrauchssteuern auf Energie, darunter die Mehrwertsteuer, sind zumindest zeitweilig zu senken.
FAZ:
Gerät nicht irgendwann der Staat an Grenzen seiner Leistungsfähigkeit?
Wolf:
Natürlich gibt es solche Grenzen, die man immer im Blick behalten muss. Aber das darf uns ja nicht daran hindern, die politischen Prioritäten richtig zu setzen – und zwar so, dass die Industrie als stärkster Motor unseres Wohlstands auch in Zukunft gut läuft. Umso wichtiger wäre, dass die Regierung in Berlin und die EU-Politiker in Brüssel endlich verstehen: Auch die Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen ist nicht grenzenlos.
FAZ:
Haben Sie denn Zweifel, dass es dieses Verständnis gibt?
Wolf:
Allerdings. Welchen Eindruck soll man denn sonst haben angesichts der Pläne für immer neue Belastungen unserer Unternehmen? Es wirkt in vielen Politikbereichen so, als hätte man dort die neue Weltlage noch gar nicht mitbekommen: Der Mindestlohn wird außerplanmäßig auf 12 Euro erhöht, als sei nichts passiert. Sozialleistungen und -abgaben sollen steigen, als sei nichts passiert. Die EU macht mit ihrer sogenannten Lieferkettenrichtlinie weiter, als sei nichts passiert. Und dann will sie uns auch noch ein ganz neues bürokratisches Riesenmonster namens „Sozial-Taxonomie“ schicken. Ich gehe da jetzt gar nicht ins Detail und sage nur: Politiker, die uns ausgerechnet jetzt zwingen wollen, noch mehr Soziallasten zu schultern und noch mehr Personal zum Ausfüllen von Formularen statt für Produktinnovationen einzusetzen – die sollen uns bitte nichts über Grenzen staatlicher Leistungsfähigkeit erzählen.
FAZ:
Trotzdem müssen Mehrausgaben für Kurzarbeit und Steuersenkungen irgendwie finanziert werden. Woher sollen die Mittel denn kommen?
Wolf:
Ich kann ihnen sagen, woher seit jeher ein besonders großer Teil der Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben kommt: Aus der Wertschöpfung in den Unternehmen unserer Industrie. Deshalb ist es ja so wichtig, anstelle immer neuer Regulierungen endlich die Rahmenbedingungen für unsere Arbeit konsequent darauf auszurichten, dass eine neue wirtschaftliche Dynamik entsteht. Denn ohne Industrie kein Wohlstand! Ich erwarte von der Regierung, dass sie es den Unternehmen in dieser Situation leichter und nicht immer schwerer macht, mit innovativen, wettbewerbsfähigen Produkten auf den Weltmärkten erfolgreich zu sein. Das führt am Ende auch dazu, dass der Staat höhere Einnahmen und Leistungsfähigkeit gewinnt.
FAZ:
Wenn wichtige Lieferketten in Zukunft stärker abgesichert werden sollen, heißt das ja, dass – zum Beispiel – wieder mehr Kabelbäume in Deutschland produziert werden. Könnte auch das hierzulande zu mehr Wirtschaftswachstum führen?
Wolf:
Das ist theoretisch denkbar. Allerdings ist das natürlich auch eine Kostenfrage: Werden Kabelbäume oder andere Zuliefererteile nicht mehr mit ukrainischen, sondern mit deutschen Lohn- und Produktionskosten hergestellt, dann werden die Autohersteller nicht einfach sagen können: Wir zahlen trotzdem weiter den alten Preis für den Kabelbaum. Das gesamte Produkt wird dann teurer. Und dann schrumpft die Absatzmenge. Ist das Produkt gut genug, um auf dem Weltmarkt erfolgreich zu sein, dann kann die Rechnung aufgehen. Bei alledem ist aber eines auch sehr wichtig: Ich will trotz der gerade so schlimmen Lage in der Ukraine noch nicht die Hoffnung aufgeben, dass dort irgendwie eine Rückkehr zu friedlichen Verhältnissen gelingen könnte. Auch wenn es derzeit so wenig danach aussieht: Am liebsten wäre mir, wir könnten schon bald am wirtschaftlichen Wiederaufbau der Ukraine mitwirken.
(Quelle: FAZ, Gesamtmetall)