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VSU-Schlagzeilen 14.07.2022

Barke sieht Digitalstrategie des Landes durch Bundesstrategie bestätigt / Warnstreiks beeinträchtigen Containerabfertigung / Fed: US-Wirtschaft wächst in bescheidenem Ausmaß / Gesamtmetall-Präsident fordert bei Gas Vorrang für Industrie

Saarland/Region 
Wirtschaftsausschuss beschäftigt sich mit Schließung von V&B Fliesen 
Saarland will Katastrophenschutz verbessern 
Barke sieht Digitalstrategie des Landes durch Bundesstrategie bestätigt 

Tarifpolitik 
Warnstreiks beeinträchtigen Containerabfertigung 
  
Arbeitswelt 
Studie: Viele Jugendliche überfordert Überangebot an beruflicher Orientierung 
 
Konjunktur 
Fed: US-Wirtschaft wächst in bescheidenem Ausmaß
  
Wirtschaftspolitik 
KfW: Nachfolgermangel zwingt viele Unternehmen zur Aufgabe 
  
Digitalisierung 
VDMA kritisiert Cybersicherheitsinitiative: Lieferketten in der Industrie zu wenig gestärkt 
  
Energiepolitik
Gesamtmetall-Präsident fordert bei Gas Vorrang für Industrie 
  
Interview 
Dulger: Wir stehen vor der größten Krise, die das Land je hatte (Süddeutsche Zeitung) 
 
 

Saarland/Region 

Wirtschaftsausschuss beschäftigt sich mit Schließung von V&B Fliesen 
Der Wirtschaftsausschuss des Saarländischen Landtags beschäftigt sich heute mit der angekündigten Werksschließung von Villeroy und Boch Fliesen in Merzig. Die CDU-Fraktion hatte eine Sondersitzung zu dem Thema beantragt. Neben der Geschäftsführung des Unternehmens und den zuständigen Gewerkschaften soll in der Sondersitzung, die die CDU-Fraktion beantragt hatte, auch die Landesregierung befragt werden, ob es Möglichkeiten gegeben hätte, die Produktion am Standort zu halten. Es ginge nicht darum Vorwürfe zu machen, betont Marc Speicher, arbeitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Dennoch sei es wichtig aufzuklären, was zur Entscheidung über das Aus in Merzig geführt hatte. Wann wusste die Landesregierung Bescheid, welche Möglichkeiten hätte es zur Standortsicherung noch gegeben? Auch mit Blick in die Zukunft seien das die wichtigen Fragen, um zu verhindern, dass hohe Energiepreise zu weiteren Schließungen in der Saar-Industrie führen, so Speicher. Aufklärung erhofft sich auch der Ausschussvorsitzende Damhat Sisamci von der SPD. Er sieht die Unternehmensleitung in der Verantwortung. Sie solle erklären, warum das von Arbeitnehmerseite vorgeschlagene Alternativkonzept für den Standort abgelehnt wurde. Zudem sei es nun wichtig, eine Lösung für die rund 200 Beschäftigten zu finden. Man wolle sich darüber gemeinsam mit Betriebsrat und Gewerkschaften austauschen, sagt Sisamci. Für die 200 Beschäftigten gilt noch bis März nächsten Jahres eine Standortsicherungsvereinbarung. Schon bald sollen Verhandlungen über ein Sozialpaket für die Mitarbeiter beginnen. Im Gespräch ist dabei eine Transfergesellschaft. (Quelle: SR) 

Saarland will Katastrophenschutz verbessern
Das Saarland will nach den Erfahrungen im Ahrtal den Katastrophenschutz unter anderem mit dem Einsatz von Sirenen und Übungen verbessern. Unter anderem aufgrund dieser Erfahrung laufen im Saarland laut SPD-Innenminister Reinhold Jost derzeit mehrere Projekte und Maßnahmen, die alle die frühzeitige Information und Warnung der Bevölkerung zum Ziel haben. Sirenen seien ein wichtiger Aspekt, sagt Jost, denn auch Handynetze könnten ausfallen. Deshalb habe man in den vergangenen Monaten viel Geld investiert "mit dem Ziel bis zum Jahr 2024 im Saarland eine Abdeckung von 90 Prozent der Erreichbarkeit der saarländischen Haushalte durch entsprechende Sirenen sicherzustellen". Im September 2020 hatte der bundesweite Warntag gravierende Probleme beim Katastrophenschutz im Saarland offenbart. Außerdem müssen nach Ansicht von Jost wieder mehr Übungen für den Ernstfall stattfinden. "Bestimmte Erfahrungswerte sind verloren gegangen, weil man sie nicht mehr regelmäßig geübt hat", erklärte der Innenminister. Wichtig sei es, die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung zu stärken. Außerdem müssten regionale und überregionale Übungen stattfinden, "die dann auch dazu führen, dass jeder in der jeweiligen Kette der Hilfsdienste weiß, wer ist an der anderen Seite verantwortlich und was ist zu tun". (Quelle: SR)

Barke sieht Digitalstrategie des Landes durch Bundesstrategie bestätigt 
Wirtschaftsminister Jürgen Barke sieht sich durch die aktuell verkündete Gigabitstrategie des Bundes in der Digitalstrategie des Landes bestätigt. „Der Bund flankiert den Netzausbau jetzt auch mit einer eigenen Strategie. Aus saarländischer Sicht begrüßen wir das. Die Zielrichtung des Bundes deckt sich mit unserer landeseigenen Gigabitstrategie, beispielsweise bei der Vereinfachung vieler Genehmigungsverfahren. Auch bei der Umsetzung des Netzausbaus sind wir uns mit dem Bund einig: Eigenwirtschaftlicher Ausbau soll Vorrang haben. Wo die Anbieter eine Versorgung aus eigener Kraft nicht leisten können, werden wir den Eigenausbau mit einer Förderung ergänzen. Dafür haben wir auch bereits ein Konzept vorgelegt, das auch im Bundesförderprogramm berücksichtigt wird.“ (Quelle: Wirtschaftsministerium) 


Tarifpolitik 
  
Warnstreiks beeinträchtigen Containerabfertigung 
Wegen des erneuten Warnstreiks der Hafenarbeiter dürfte auf Deutschlands große Seehäfen von heute an abermals und diesmal für 48 Stunden Stillstand zukommen: Verdi hat die Beschäftigten aufgerufen, mit Beginn der Frühschicht bis zum Samstagmorgen die Arbeit niederzulegen. Die Warnstreiks beträfen alle wichtigen Häfen an der Nordsee, also neben Hamburg auch Bremerhaven, Bremen, Emden, Wilhelmshaven und Brake, wie Verdi-Verhandlungsführerin Schwiegershausen-Güth sagte. Der neuerliche Warnstreik droht, die Logistik der Häfen noch mehr aus dem Tritt zu bringen. Nach jüngsten IfW-Berechnungen stecken in der Nordsee inzwischen mehr als 2 Prozent der weltweiten Frachtkapazität im Stau. Derzeit warten allein auf Ankerplätzen in der Deutschen Bucht rund 20 Frachter auf Abfertigung, die meisten mit Ziel Hamburg. Die Verhandlungsführerin des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), Riedel, nannte den Streikaufruf angesichts der zulasten von Verbrauchern und Unternehmen gestörten Lieferketten „unverantwortlich“. (Quelle: dpa, M+E-Newsletter Gesamtmetall) 
  
  
Arbeitswelt 
  
Studie: Viele Jugendliche überfordert Überangebot an beruflicher Orientierung 
Viele Jugendliche finden sich einer Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zufolge in den vielfältigen Informationen zum Thema Berufswahl nur schwer zurecht. Unter 1.666 befragten jungen Leuten zwischen 14- bis 20 Jahren bewerteten demnach lediglich 37 Prozent die Unterstützung bei ihrer beruflichen Orientierung als ausreichend. Bei der Suche nach dem passenden Beruf meinte nur ein Viertel der Jugendlichen, dass es genügend Informationen gebe und man sich darin gut zurechtfinde. Demgegenüber sehen sich 53 Prozent der Jugendlichen mit dem Informationsangebot zur Berufswahl überfordert. Die 14- bis 20-Jährigen sind bei der Berufsorientierung laut Studie zudem weniger digital orientiert als vermutet. Fast drei Viertel gaben an, dass die Eltern hier ihre wichtigsten Unterstützer sind. Für knapp die Hälfte sind danach Gespräche mit Lehrkräften, Ausbildern und Berufsberaterinnen die wichtigsten Informationsquellen. Immerhin kennen 65 Prozent der Befragten das Berufsinformationszentrum der Bundesagentur für Arbeit (BIZ), gefolgt von „planet-beruf.de“, den Online-Portalen von Industrie- und Handelskammern sowie „berufswahlhelden.de“ oder auch „aubi-plus.de“. (Quelle: dpa, M+E-Newsletter Gesamtmetall)
  
  
Konjunktur 
  
Fed: US-Wirtschaft wächst in bescheidenem Ausmaß 
Die US-Wirtschaft ist zuletzt zwar weiter gewachsen, allerdings nur in bescheidenem Ausmaß, wie aus dem aktuellen Konjunkturbericht der US-Notenbank Fed hervorgeht. Insbesondere die Entwicklung in der Industrie sei durchwachsen ausgefallen, da nach wie vor Lieferkettenprobleme und Arbeitskräfteknappheit die Aktivität dämpften, hieß es weiter. Die konjunkturellen Aussichten werden als überwiegend negativ beschrieben. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dürfte sich in den kommenden sechs bis zwölf Monaten schwach entwickeln, heißt es in dem Bericht. (Quelle: dpa, M+E-Newsletter Gesamtmetall) 
  
  
Wirtschaftspolitik 
  
KfW: Nachfolgermangel zwingt viele Unternehmen zur Aufgabe 
Bis 2025 werden in Deutschland voraussichtlich rund 465.000 mittelständische Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit einstellen; meist, weil die Eigentümer das Rentenalter erreichen und keinen geeigneten Nachfolger finden, zeigt das „Nachfolge-Monitoring Mittelstand“ der KfW, für das von Februar bis Juni 2021 rund 4.600 Privatunternehmen aller Wirtschaftszweige mit höchstens 500 Millionen Euro Jahresumsatz befragt würden. Rechnet man die Befragungsergebnisse hoch, planen 266.000 mittelständische Unternehmen, den Betrieb bis Ende 2025 freiwillig zu schließen. Davon sind fast durchweg Kleinstunternehmen mit weniger als fünf Mitarbeitern betroffen. Neben dem Alter der Inhaber und dem mangelnden Interesse von Nachkommen an einer Übernahme spielt hier oft auch die geringe wirtschaftliche Attraktivität des Unternehmens eine Rolle. Ertrag und Geschäftsaussichten entwickeln sich nicht so, dass eine Übernahme für einen Nachfolger interessant wäre. So liegen Jahresumsatz und -gewinn bei den mittelständischen Unternehmen mit Stilllegungsabsicht fünf bis sechsmal niedriger als bei Firmen, bei denen die Übergabe an einen Nachfolger geplant ist. Betriebe, bei denen die Schließung ansteht, verzeichnen zudem dreimal häufiger Verluste als der Gesamtdurchschnitt der Mittelständler. Angesichts der demografischen Entwicklung könnte sich das Firmensterben in den kommenden Jahren noch beschleunigen, warnt die KfW. So sind im Mittelstand gegenwärtig 28 Prozent der Unternehmerinnen und Unternehmer 60 Jahre alt oder älter. Vor 20 Jahren waren es nur 12 Prozent. Bis Ende 2025 wird laut KfW jedem mittelständischen Unternehmen mit erfolgreicher Nachfolgelösung mindestens ein Unternehmen entgegenstehen, das aus dem Markt ausgeschieden ist. „Ein echter Verlust für die Wirtschaft sind Geschäftsaufgaben von erfolgreichen Unternehmen, die ihren Nachfolgewunsch trotz wirtschaftlicher Attraktivität mangels geeigneter Kandidaten aufgeben. Davon wird es angesichts der demografischen Entwicklung immer mehr geben. Welche Folgen ein etwaiges Wiederaufflammen der Corona-Krise oder die Auswirkungen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine haben wird, ist derzeit noch mit hoher Unsicherheit behaftet", erklärte KfW-Chefvolkswirtin Köhler-Geib. (Quelle: KfW, Handelsblatt, M+E-Newsletter Gesamtmetall) 
  
  
Digitalisierung 
  
VDMA kritisiert Cybersicherheitsinitiative: Lieferketten in der Industrie zu wenig gestärkt 
VDMA-Digitalisierungsspezialist Oetter kritisiert die vom Bundesinnenministerium erarbeitete Cybersicherheitsagenda als vertane Gelegenheit, die mittelständische Industrie besser zu unterstützen und fordert eine stärkere Unterstützung in den Lieferketten für mehr Cyber-Resilienz der Unternehmen. Dass von erfolgreichen Angriffen auch Unternehmen mit einer vorhandenen Cybersecurity-Infrastruktur betroffen seien, zeige, dass die Bedrohungslage für den industriellen Mittelstand sehr groß sei, sagte Oetter. Es fehle jedoch seitens zuständiger Behörden oft an adäquater Unterstützung, insbesondere durch das vom Innenministerium geführte Bundesamt für Sicherheit in der IT (BSI). Auch die föderale Struktur der Polizeiarbeit behindere den Kampf gegen Cyberkriminelle. Der VDMA hatte sich daher von der neuen Cybersecurity-Agenda des Innenministeriums eine breitere Unterstützung und Förderung der Resilienz in der Lieferkette versprochen. "Leider erfüllt die Agenda diesen Anspruch nicht", erklärte Oetter. So sei in der Vergangenheit VDMA-Mitgliedsunternehmen die Unterstützung verweigert worden, weil sie keine Betreiber kritischer Infrastrukturen sind. Dabei seien es „gerade die Maschinen- und Anlagenbauer, deren Produkte und Services entscheidend für kritische Dienstleistungen sind – für Trinkwasserversorgung, Strom oder Wärme“, betont der VDMA. In der heutigen Zeit wäre eine breitere Unterstützung für eine Cyberresilienz der kritischen Lieferkette der richtige Ansatz, um das Selbstverständnis der deutschen Behörden auch zu erfüllen, die für die "IT-Sicherheit in Deutschland verantwortlich" sind. Der Mittelstand sollte zu einem „relevanten Akteur“ und eine bundeseinheitliche Notfallhilfe für die Industrie durch das BSI gesetzlich verankert werden, fordert der Verband. (Quelle: VDMA, M+E-Newsletter Gesamtmetall) 
  
  
Energiepolitik 
  
Gesamtmetall-Präsident fordert bei Gas Vorrang für Industrie 
Die deutsche Industrie will sich im Falle eines akuten Gasmangels nicht hinten anstellen müssen. Die Priorisierung zugunsten von privaten Verbrauchern müsse dringend geändert werden, sagte Gesamtmetall-Präsident Wolf: "Industriebetriebe müssen während einer etwaigen Alarmstufe vorrangig Gas erhalten, wenn ihr Bestand oder ihre Produktionsanlagen akut gefährdet sind oder sich infolge der Lieferketten massive Produktionsausfälle über den Betrieb hinaus ergeben würden." Hintergrund der Forderung sind Überlegungen von Wirtschaftsminister Habeck, die Industrie bei dauerhaft fehlenden Gasmengen nicht automatisch zu benachteiligen. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums präzisierte unterdessen, es gehe nicht um eine Abschaltung oder eine Abschaltungsreihenfolge von privaten oder industriellen Gruppen. Vielmehr gehe es um Standards, etwa eine Senkung der Durchschnittstemperaturen. 
Damit Unternehmen Energiekosten sparen können, fordert auch der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) schnelles Handeln der Politik. „Es zählt buchstäblich jedes Grad, wenn wir beispielsweise an die Temperaturen in Büros und Werkhallen denken“, erklärte BWIHK-Präsident Grenke: „Hier muss die Politik schleunigst an die Arbeitsstättenverordnung, um entsprechende Vorschriften anzupassen. Bürokratische Fesseln in sämtlichen Feldern der Energieumstellung müssen abgelegt werden. Wir können uns jahrelange Plan- und Genehmigungsverfahren bei solch existenziellen Fragen des Wohlstands unseres Landes nicht leisten.“ Ebenso erwarteten die Betriebe Transparenz über mögliche Abschaltpläne und jedwede Anstrengung, dass der Weiterbetrieb gesichert ist. 
Die Einspeicherung von Gas in Deutschland ist nach dem Stopp der russischen Lieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 inzwischen fast zum Erliegen gekommen. Aktuell werde zwar netto noch weiter Gas eingespeichert, sagte ein Sprecher der Bundesnetzagentur: "Aber das bewegt sich auf ganz niedrigem Niveau." Der Füllstand der deutschen Gasspeicher stieg zuletzt nur noch um 0,09 Prozent am Tag. Um Gas zu sparen und damit mehr Einspeicherung zu ermöglichen, dürften in Deutschland schon bald vermehrt Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung zum Einsatz kommen, nachdem das Bundeskabinett eine entsprechende Verordnung beschlossen hat, die heute in Kraft treten soll. Kraftwerke, die mit Kohle und Öl betrieben werden und sich aktuell in der Netzreserve befinden, können demnach bis zum Ende des Winters befristet an den Strommarkt zurückkehren. (Quelle: dpa, M+E-Newsletter Gesamtmetall) 
  
  
Interview 
  
Dulger: Wir stehen vor der größten Krise, die das Land je hatte
BDA-Präsident Dulger warnt: Sollte es zu einem Gas-Lieferstopp kommen, war’s das erst mal mit Deutschlands Wohlstand. Doch er ist überzeugt: Deutschland kann Krise. 
SZ: 
Herr Dulger, Sie sind der oberste Repräsentant der deutschen Arbeitgeber. Viele Ihrer Kollegen schlagen Alarm, die Rede ist vom drohenden „Herzinfarkt der deutschen Wirtschaft“. Können Sie uns heute etwas beruhigen?
Dulger: 
Das werde ich leider nicht können. Wir stehen vor der größten Krise, die das Land je hatte. Es sieht so aus, als ob Russland das Gas stark verknappt oder auf Dauer gar nichts mehr liefert. Und Deutschland ist bereits angeschlagen. Die Industrie hatte 2019 das erste Rezessionsjahr, dann stiegen die Preise stark, dann kam der Ukrainekrieg, und jetzt kommt Corona zurück. 
SZ: 
Was kann man da noch tun?
Dulger:
Vieles passiert ja schon. Aber wenn es zu einem Gas-Lieferstopp kommt, steht die deutsche Wirtschaft wirklich vor ernsten Problemen. Chemie- oder Glasanlagen müssen abgestellt werden, wenn sie kein Gas haben. Das bleibt nicht auf die Industrie beschränkt, sondern trifft alle. Das ist eine völlig neue Situation. Wir müssen uns ehrlich machen und sagen: Wir werden den Wohlstand, den wir jahrelang hatten, erstmal verlieren. 
SZ: 
Sie gelten als Optimist. Ist davon ist nichts geblieben? 
Dulger: 
Doch. Ich sage auch: Es lässt sich noch Energie einsparen. Die Wirtschaft strengt sich an. Eines weiß ich: Krise haben wir noch immer gekonnt! 
SZ: 
Manche sagen, die Probleme hängen mit der großflächigen Privatisierung wichtiger Leistungen zusammen, bei der man zu weit gegangen sei – weil jede Firma nur an sich gedacht hat und niemand ans große Ganze. Brauchen wir mehr Staat? 
Dulger: 
Nein, Deutschland ist nicht zu weit gegangen. Und ganz sicher braucht es nicht mehr Staat in der Wirtschaft. Private wirtschaften immer besser als der Staat. Aber wir alle – auch ich – haben bis zum 24. Februar nicht geglaubt, dass Russland wirklich in der Ukraine einmarschiert. Und wir haben etwas missachtet, was Helmut Schmidt in den 1970er Jahren noch wusste. Als man damals die Röhren für das Gas nach Russland zu liefern begann, sagte der damalige Bundeskanzler: Wir können das machen, aber wir dürfen nicht mehr als zu 30 Prozent von russischem Gas abhängen. Das wurde ignoriert. 
SZ: 
Und jetzt? 
Dulger: 
Wirtschaftsminister Habeck ist sehr engagiert bei der Gewinnung alternativer Bezugsquellen. Aber die Unabhängigkeit von russischem Gas wird nicht von heute auf morgen gehen. Jetzt gilt es, entgegen der bisherigen politischen Festlegungen neben Gas auch die beiden Säulen Atom und Kohle zu nutzen, um glimpflich aus der Sache herauszukommen. Bei Kohle geschieht das, aber wir werden nicht darum herumkommen, darüber zu diskutieren, die drei verbliebenen Atomkraftwerke länger laufen zu lassen.
SZ: 
Falls es nicht zu einem Gas-Stopp kommt, sagen die Konjunkturinstitute für dieses Jahr zwei Prozent Wachstum vorher. Das ist viel mehr, als man in der derzeitigen Katastrophenstimmung glauben würde. 
Dulger:
Das Problem mit Prognosen ist, dass man erst im Nachhinein weiß, ob sie zutreffen. Bis Ende des Jahres kann sich vieles verändern. Mich sorgt, dass die hohe Inflation die ganze Wirtschaft und damit auch unsere Beschäftigten trifft – und ich sehe viel sozialen Sprengstoff. 
SZ: 
Genau deshalb fordert die IG Metall jetzt acht Prozent mehr Lohn für 2022 und 2023. Kann man verstehen, oder? 
Dulger: 
Die Gewerkschaft wünscht sich einen Ausgleich der Inflation, das kann ich nachvollziehen. Aber die Unternehmen stehen unter Druck und können sich das nicht leisten. Deshalb ist diese Forderung ganz schwierig. Sie passt nicht in die Zeit. Die Tarifparteien können das Problem der Inflation nicht alleine lösen.
SZ: 
Sondern? 
Dulger: 
Da muss der Staat ran und ist in der Pflicht. Es muss jetzt bei jedem Bürger auf dem Konto mehr Netto vom Brutto ankommen. Der Staat darf nicht das Netto weiter reduzieren und muss seine Krisengewinne fair zurückgeben. 
SZ: 
Die beiden ersten Entlastungspakete der Regierung wirken ja. Wäre es gut, wenn sie ein drittes auflegt? 
Dulger: 
Finanzminister Lindner hat mir neulich vorgerechnet, dass eine Familie mit zwei Kindern 1000 Euro mehr im Jahr bekommt. Das ist gut. Ob das ausreicht, wenn die Inflation nächstes Frühjahr hoch bleibt, muss man sehen. Es zeigt sich auch, dass der Tankbonus nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. 
SZ: 
Olaf Scholz lädt im September Arbeitgeber und Gewerkschaften zum zweiten Treffen der Konzertierten Aktion ein. Was ist Ihre Erfahrung: Ist das mehr als nettes Kaffeetrinken? 
Dulger: 
Unbedingt! Der Kanzler macht es genau richtig, er stimmt sich mit allen Beteiligten vertraulich ab. Medienwirksame Schnellschüsse sind weniger erfolgversprechend. Das erste Treffen diente der Orientierung, beim nächsten Mal wird es konkreter. 
SZ: 
Es fällt auf, dass Wirtschaftsvertreter die Bundesregierung anders als früher reichlich loben. Insbesondere der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck ist der Liebling der Unternehmen. Weil er alles macht, was Sie sagen? 
Dulger:
Da muss ich schmunzeln. Ich stehe wirklich nicht im Ruf, Wirtschaftsminister zu loben…
SZ: 
…Habecks Vorgänger von der Union, Peter Altmaier, haben Sie öffentlich für fehl am Platz erklärt … 
Dulger:
…Habeck macht es genau richtig: Er redet nicht nur klug daher oder erklärt uns die Welt, sondern er hört zu. Und er stimmt sich unablässig ab, in Runden mit Energieerzeugern, großen Verbraucher und anderen relevanten Akteuren – und macht dann das, was notwendig ist, Schritt für Schritt. 
SZ: 
Trotzdem: Steuersenkungen, die große Forderung der Industrie seit jeher, werden Sie auch von dieser Regierung nicht bekommen. Ist das für Sie okay? Weil Sie vielleicht auch umdenken in dieser Zeitenwende? Sie selbst haben ja eben von sozialem Sprengstoff gesprochen. Die starke Mittelschicht bröckelt, ein Aufstieg aus eigener Kraft ist seltener möglich. Brauchen wir nicht doch höhere Erbschaft- und Vermögensteuer, womöglich eingebettet in eine größere Steuerreform? 
Dulger: 
Gerade in Deutschland ist die Gerechtigkeit nicht aus dem Fokus geraten, auch im europäischen Vergleich nicht. Die Arbeitgeber sind sich ihrer sozialen Verantwortung von jeher sehr bewusst. Die Unternehmer mit höheren Steuern aus dem Land zu treiben, davon halte ich nichts. Besser wäre es, unsere Sozialsysteme zu reformieren, bevor sie gänzlich unbezahlbar sind. Jeder hier in Berlin kennt jeder die Zahlen, aber keiner traut sich drüber zu reden, aus Angst vor den nächsten Wahlen. 
SZ: 
Sie spielen darauf an, dass Deutschland altert und schrumpft, die Sozialbeiträge steigen bald auf über 40 Prozent. Was schlagen Sie der Bundesregierung vor, um leere Rentenkassen und hohe Lohnnebenkosten zu verhindern? 
Dulger: 
Die Arbeitgeber haben dazu gute Vorschläge gemacht. Unter anderem muss die private und die betriebliche Altersvorsorge gestärkt werden und das Rentenalter dynamisiert werden... 
SZ: 
...also das Renteneintrittsalter erhöht werden… 
Dulger: 
Nein, ich sage bewusst: dynamisiert, das ist kein starrer Prozess. Es geht einfach nicht, dass sich die Lebenserwartung erhöht, aber das Rentenalter nicht. Man muss das aneinander koppeln. Als mein Großvater in Rente ging, haben vier Berufstätige seine Rente finanziert. Wenn ich in Rente gehe, sind es nicht mal mehr eineinhalb Beschäftigte. 
SZ: 
Viele Menschen wollen aber kein höheres Rentenalter. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass die Politik dieses heiße Eisen ausgerechnet jetzt anpackt, in Zeiten der Krise? 
Dulger: 
Mir ist schon klar, dass wir jetzt erst mal die aktuelle Krise lösen müssen. Darüber hinaus geht es mir nicht darum, populär zu sein. Sondern das Notwendige vorzuschlagen, damit dieses Land am Laufen gehalten wird. Die Sache ist eigentlich ganz klar: Es darf einfach keine weiteren Belastungen für die Unternehmen und die Beschäftigten geben. Das packen wir nicht! 
SZ: 
Bei der Rente dauert das auch noch ein paar Jahre, bei der Krankenversicherung steht die nächste Beitragserhöhung bald an. 
Dulger: 
Noch einmal: Beitragserhöhungen sind jetzt völlig verkehrt. Die belasten Unternehmen und Beschäftigte, und die Lohn-Preis-Spirale dreht sich immer schneller. Höhere Krankenkassenbeiträge wären also falsch. Die Defizite der Kassen sollte lieber der Staat durch Zuschüsse und Reformen auffangen. 
SZ: 
Apropos soziale Gerechtigkeit. Am 1. Oktober steigt der Mindestlohn auf zwölf Euro. Machen Sie damit Ihren Frieden? 
Dulger: 
Es geht nicht um die zwölf Euro. In vielen Branchen liegt der Mindestlohn sogar deutlich höher, und das ist gut so. Ich kritisiere die Politisierung des Prozesses und den Weg dorthin. Gesetzlich vereinbart ist eine Kommission, die den Mindestlohn bestimmt. Darüber haben sich die Wahlkämpfer, die jetzt in dieser Bundesregierung sind, hinweggesetzt. Das war ein schwerer Fehler und lässt mich für den kommenden Wahlkampf Schlimmes befürchten. 
SZ: 
Klagen Sie dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht? 
Dulger: 
Das ist noch nicht entschieden. 
SZ: 
Die Demografie trifft nicht nur die Sozialsysteme, man sieht ihre Folgen schon heute. Überall herrscht Personalmangel. Was muss politisch passieren? 
Dulger: 
Ja, in den kommenden Jahren verlieren wir Millionen von Arbeitskräften in den Ruhestand, und es kommen viel weniger nach. Wir brauchen jedes Jahr auch gezielte Zuwanderung. Und damit meine ich nur die erwerbsfähigen Menschen, es kommt ja teils auch jemand aus der Familie wie Kinder mit. Das Problem ist, dass wir uns bisher zu stark auf die Asylpolitik konzentrieren. Wir brauchen aber viel mehr unkomplizierte Gewinnung von Arbeitskräften. Gehen Sie im Ausland mal zu einem deutschen Konsulat und sagen: Hej, ich möchte in Deutschland arbeiten. Die haben nicht mal ein Formular für Sie. Das muss dramatisch entbürokratisiert und digitalisiert werden, mit Online-Verfahren und so weiter. Auch hier entscheidet sich der deutsche Wohlstand. 
(Quelle: Süddeutsche Zeitung / Interview: Marc Beise, Alexander Hagelüken, M+E-Newsletter Gesamtmetall)